INTERNATIONALES THEATERINSTITUT / MIME CENTRUM BERLIN

MEDIATHEK

FÜR TANZ

UND THEATER

Roller, Jochen

www.jochenroller.de
Information

I. Biographisches

1971 in West-Berlin geboren, beginnt Jochen Roller im Alter von vier Jahren mit regelmäßigem Ballettunterricht nach der Waganowa-Methode an der Tanzakademie der Deutschen Oper Berlin. Mit 14 Jahren muss sich Jochen Roller zwischen einer Fortführung seiner Tanzausbildung oder dem regulären Schulbesuch mit Abitur entscheiden. 1985 verlässt er daher die Tanzakademie, nimmt aber weiter Kurse und schreibt sich auch in der Tanzfabrik ein, wo er andere, zeitgenössische Techniken wie etwa Release und Contact Improvisation oder Bewegungsanalyse nach Laban kennen lernt. Damit beginnt seine Abkehr von der klassischen Tanzsprache und sein Versuch, die akademische Ästhetik abzulegen. 1991 wird er zum Studiun der Angewandten Theaterwissenschaft an der Justus-von-Liebig-Universität Gießen zugelassen. 1997 schließt er sein Studium mit dem Diplom ab. Auslandsaufenthalte führen ihn nach London, wo er am Laban Centre an einem Master-Programm teilnimmt und sich insbesondere mit der Laban’schen Choreutik befasst. 1992 verbringt er ein Jahr in Frankreich und arbeitet unter anderem für die Compagnie roc en lichen, die sich mit Fragen der Horizontalität und Vertikalität im choreographischen Arbeitsprozess befasst. Seit 1998 lebt Jochen Roller überwiegend in Hamburg, wo er mit Künstlern unterschiedlicher Herkunft Performances entwickelt, die Tanz, Vortragsveranstaltung, kulturelle Breitenarbeit und Medienparodie verbinden. „Ich beziehe mich mit meiner Arbeit sowohl formal als auch inhaltlich auf alltägliche kulturelle Praktiken, die meinen künstlerischen Prozess initiieren. Das Resultat dieses Prozesses ist eine künstliche Wirklichkeit, innerhalb derer ich mich auf Kontexte beziehe, die für das eigene Handeln relevant sind. Handeln ist Bewegung und keine Bewgegung ist bedeutungslos, weil Bewegung immer in einem Kontext existiert. Durch diesen wird Bewegung bedeutend, also signifikant: Choreographie ist Information.“ So beschreibt Roller selbst in der anlässlich der Tanzplattform Düsseldorf 2004 erschienen Broschüre. Mit seinem Triptychon „Perform Performing“, dessen erster Teil, „No money, no love“, Ende 2002 im Berliner Podewil uraufgeführt wird, erhält Roller eine Einladung zur deutschen Tanzplattform 2004 in Düsseldorf und ist seither ein national und international viel gefragter Künstler. Im Rahmen der Vorbereitung und Gründung des Zentrums für Choreographie-Entwicklung in Hamburg und der Neubesetzung der künstlerischen Leitung auf Kampnagel ist Jochen Roller seit Frühjahr 2006 Tanzdramaturg und Programmmitarbeiter auf Kampnagel (Stand: Januar 2007). Franz Anton Cramer


II. Allgemeine Ästhetik

Neben dem jahrelang ausgeübten klassischen Training haben nach Auskunft von Jochen Roller vor allem zwei Elemente sein choreographisches Schaffen geprägt: Zum einen das Studium der angewandten Theaterwissenschaft mit seiner Verknüpfung akademisch-universitärer und aufführungspraktischer Denkformen. Der Schwerpunkt lag dabei auf den Praktiken der Avantgarden des 20. Jahrhunderts. Die im Rahmen des Studiums entwickelten, experimentellen Aufführungsformate verbildlichen Inhalte der theoretischen Auseinandersetzung mit Aufführung und Darstellender Kunst; das choreographische Werk Jochen Rollers ist von diesem Ansatz nachhaltig geprägt. Der zweite Einfluss, den Roller geltend macht, ist die Bewegungsanalyse nach Rudolf von Laban. „Es ist ein System, das es erlaubt, wirklich Bewegung zu ‘erschaffen’. ... Man kann jede beliebige Bewegung verändern, indem man ihr ihren Nutz-Kontext wegnimmt. Man verändert die Bewegung weder in ihrer Gestalt noch in ihrem Wesen, sondern nur in Ihrer Absicht, in ihrem alltäglichen Erscheinen, und dadurch verändert man sie auch im Ästhetischen“, so Roller in einem Gespräch (La lettre de Kinem, CND). Auf der Basis eines solchen Verfahrens der De- und Rekontextualisierung von Bewegung ist auch Rollers bislang erfolgreichstes Stück entstanden, der erste Teil der Trilogie „Perform Performing“, in dem es um den Ökonomischen Mangel geht, dem jeder zeitgenössische Tanzkünstler derzeit unterworfen ist. Diese inhaltliche Selbstreferentialität im künstlerischen Schaffen zeichnet Rollers Arbeitsansatz aus, auch wenn die nachfolgenden Stücke eher andere Aspekte beleuchten, so etwa den Zusammenhang von künstlerischer Idee und szenischer Umsetzung („Mind Garden“, 2004) oder zuletzt das Nomadische, die Mobilität und die zunehmende internationale Seinsweise von zeitgenössischen Tänzern in dem gemeinsam mit Martin Nachbar entwickelten Stück „mnemonic nonstop“ (2005). Dabei steht die dramaturgische Aufbereitung, das Unterhaltsame und Spektakuläre stets im Vordergrund. Rollers Choreographien arbeiten dezidiert mit Textelementen, sie erläutern, ja sie erzählen viel und binden die dem Stück zugrunde liegenden Erlebnisse stets an die Gegenwartssituation der Aufführung, um so die Spontaneität der Bühnensituation wachzurufen. Franz Anton Cramer

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