Aus der Arbeit einer kleinen Gruppe von biomechanisch ausgebildeten Darstellern des Theaters der Satire ging eine Inszenierung von Becketts „Warten auf Godot“ hervor. Die Gruppe hatte sich ausgehend von der Biomechanik Meyerholds u.a. mit Texten von Federico García Lorca, Bertolt Brecht und Molière beschäftigt und mit Formen von Theater im öffentlichen Raum und mit Elementen der Commedia dell‘arte experimentiert. Die meisten von ihnen, darunter Alexej Lewinskij, Alexandr Wojewodin und Gennadij Bogdanow, waren in den 1970er Jahren bei Nikolaj Kustow in Biomechanik ausgebildet worden. Das Theater der Satire bot ihnen für ihre Arbeit einen geschützten Raum.
Die Inszenierung, in der biomechanische Bewegungsprinzipien die Grundlage des Rollenspiels bildeten, hatte 1983 ihre Premiere auf der Probebühne des Theaters der Satire, welche ca. 100 Zuschauer*innen Platz bot. Vermutlich handelte es sich um eine der ersten Inszenierungen eines Textes von Beckett in der Sowjetunion überhaupt.1
Die Inszenierung am Theater der Satire lief über drei Spielzeiten mit wöchentlichen Vorstellungen, die, wie sich die Beteiligten erinnern, zunächst vor allem Freunde und Bekannte besuchten. Da zunächst keine offizielle Werbung für die Produktion gemacht wurde, erweiterte sich der Zuschauer*innenkreis über persönliche Kontakte. Alexej Lewinskij erinnert sich, dass der daraus resultierende intime Charakter der Abende eine Atmosphäre für Diskussionen und Gespräche geschaffen habe.2
1987 wurde die Inszenierung auf die Kleine Bühne des Jermolowa-Theaters eingeladen. Die veränderten Raumbedingungen, der viel größere Zuschauersaal, der die Inszenierung mit einer veränderten Öffentlichkeit konfrontierte, stellte eine Herausforderung für die Beteiligten dar, die sich über drei Jahre hinweg vor einem ausgewählten Publikum und in intimer Atmosphäre eingespielt hatten. Die zuvor als „kämpferisch“ beschriebene Haltung der Darsteller*innen ließ sich nicht nahtlos in einen verändert disponierten politischen und gesellschaftlichen Kontext übersetzen. Die Spieler hatten sich auch auf die Raumbedingungen des Theaters der Satire eingestellt, auf eine tiefe Bühne vor einem engen Zuschauer*innensaal. Lewinskij erinnert sich auch an die deutlich veränderten Reaktionen der Zuschauer*innen, die nun entweder minutenlang applaudierten oder noch vor Ende der Vorstellung den Raum verließen.3
Die Inszenierung spielte mit komödiantischen und grotesken Elementen, was, wie Lewinskij berichtet, eine Gruppe westdeutscher Besucher*innen, die die Inszenierung in den 1980er Jahren in Moskau besuchte, irritiert hätte: „Bei uns wird Beckett so nicht gespielt. Das zentrale Thema ist die verzweifelte Einsamkeit“, so ihre Aussage.4
Aus dem persönlichen Bestand Gennadij Bogdanows konnten einige Fotografien der 1970er und 1980er Jahre digitalisiert werden, die neben „Warten auf Godot“ auch die Arbeit an der später am Theater der Satire entstandenen Inszenierung der Clowneske „Dario und Bario“ widergeben.
1 Lewinskij erinnert sich, dass „Warten auf Godot“ zuvor bereits (auszugsweise) in der Wohnung des am Moskauer Künstlertheater (MChAT) engagierten Schauspielers Jurij Wassiljew gespielt worden war, die sich zu einer inoffiziellen Spielstätte entwickelt hatte.
2 „Ожидание в золоченой клетке“, Interview mit Alexej Lewinskij. In: Журнал teatr. 19.01.2013.
http://oteatre.info/ godot_60/ [Zuletzt abgerufen am 18.12.2018].
3 Ibd.
4 Ibd.