Vorhandene Bestände sichten und vergleichen, zwischen den verschiedenen zu einer Aufführung vorhandenen Bändern auswählen, und das Recherchieren nach Detailinformationen gehörten somit zu den wesentlichen Tätigkeiten der vorbereitenden Arbeit. Denn das Projekt kann lediglich als eine solche verstanden werden, es leistet die Bereitstellung des vorhandenen Materials zur weiteren Bearbeitung – die eigentliche tanzwissenschaftliche Arbeit kann erst von hier ihren Ausgang nehmen.
Bereits die Sichtung konfrontierte uns mit einem immer wieder auftretenden Problem:
Wie sollte eine Generation an Studierenden, die selbst keine direkte Beziehung zur Berliner Tanzgeschichte oder zur Tanzfabrik hat, sich diesem Material nähern?
Die teilweise nicht immer ganz leicht zu beantwortende Grundfrage „Wer sind die jeweiligen Tänzer*innen der Aufführung?“ ließ sich über Quersichtungen, Fotografien, in Gesprächen mit anderen Protagonist*innen beantworten. Daten von Aufführungsdatum und Aufführungsort wurden so verzeichnet, dass sie innerhalb einer Vernetzung mit anderen Archiven und Wissensquellen auffindbar sein werden.
Hierfür war nebst der Hilfe von einzelnen Choreograph*innen das bereits erwähnte Papierarchiv von AnnA Stein von entscheidender Bedeutung – ohne das auch für die zukünftig weiter dazu Forschenden das digitale Archiv nur bedingt nutzbar ist. Eine sorgfältige Aufarbeitung wäre hier in einem nächsten Schritt unbedingt wünschenswert. Des Weiteren müssten auch die bislang in unterschiedlichsten Zusammenhängen geführten Gespräche und Interviews archiviert und katalogisiert werden.
Ein nächster Schritt betraf die Form der ANNOTATION:
Hier stellte sich die Frage einer angemessenen, genauen und doch relativ „neutralen“, beobachtenden Beschreibung der Stücke – kurz und möglichst wenig interpretierend – ausgehend von folgenden Fragen:
Welchen Fokus gibt es? Handelt es sich um ein Stück, das sich auf einen spezifischen „Inhalt“ bezieht? Wenn ja, in welchem Verhältnis stehen Inhalt & Form? Stehen wie bei Jacalyn Carley oder Claudia Feest Textverarbeitungen im Mittelpunkt? Gibt es eine dezidierte Auseinandersetzung mit Bewegungsrecherche?
Inwiefern sind die einzelnen Biographien der beteiligten Choreograph*innen/ Tänzer*innen dafür von Bedeutung – z.B. wenn es sich um die Wigman-Nachfolge handelt, oder wenn die Sportstudierenden der Freien Universität eine spezifische Form der Contact Improvisation entwickelten oder Ka Rustler ihre Erfahrung aus dem Kursen in somatischen Praktiken, die sie in den USA besucht hatte, einbrachte.
Welches Bewegungsvokabular wird verwendet und in welcher Weise? (Bewegungsbeschreibungen: Frage der Ausführlichkeit und Exaktheit). Welche Verschiebungen oder Neuerungen in Bezug auf das Verständnis von Choreographie lassen sich daraus ablesen?
Gibt es Referenzen zu anderen Choreograph*innen und Stilen, wie z.B. Mary Wigman?
Gibt es Einflüsse durch Gastspiele, wie z.B. von Merce Cunningham, Meredith Monk oder des Tanztheaters, so z.B. bei Heidrun Vielhauer und Sygun Schenck? Welche Rolle spielten die Workshops z.B. mit Steve Paxton oder Mark Tompkins auch für die Stückentwicklung? Gibt es Querverbindungen zu anderen Künstler*innen, Tänzer*innen, anderen Companies wie z.B. Gerhard Bohner, Cesc Gelabert – in Berlin oder außerhalb (insbesondere wichtig angesichts des Inselstatus von Berlin bis 1989)?
Welchen Bezug gibt es auf ein Außerästhetisches, wie z.B. Dieter Heitkamps Buddy Bodies als erstem reinen Männerstück, das schwule Männlichkeit thematisierte? Welche gesellschaftlichen und welche ästhetischen Veränderungen lassen sich daran ablesen?
Gibt es Bezüge zur damaligen Kultur-/Politik?
Gibt es Querverbindungen in die anderen damaligen Berliner „Szenen“, wie es zum Beispiel die Videobänder zum Hausbesetzerbenefiz vermuten lassen?
Verschiedene politische Aktionen fanden damals parallel statt, deren Spektrum von der Hausbesetzung über die Produktion und Verteilung von Flugblättern bis hin zur Organisation und Durchführung von Theaterworkshops reichte, dort trafen sich die gleichen Leute, es herrschte die gleiche Energie, die utopische Verbindung von Kunst und Leben wurde in der WG ebenso erprobt wie im Kollektivmodell der Tanzfabrik – was jedoch nicht ohne Reibungen und Konflikte ablief. Auch an diese eher außerkünstlerischen Aspekte ließen sich zahlreiche Forschungsfragen anschließen, z.B.: wäre im Hinblick auf die politischen Bezüge auch die Diskussion um das Freie Theater der 1970/80er Jahre erneut zu befragen: Inwiefern verliefen Entwicklungen innerhalb der erst entstehenden „freien“ Tanzszene anders als im Theater? Inwiefern wurde das Modell, das idealistisch Pädagogik, Produktion und Präsentation verband, doch eher eine Zweck-Mittel Relation, innerhalb derer das Unterrichten ganz pragmatisch auch die (je eigene) künstlerische Arbeit finanzierte?
Besonders intensiv mussten auch die Rechtefragen geklärt werden: Welche Musik wurde verwendet? Oder wenn sie eigens komponiert worden war – von wem? Welche Texte o.a. Quellen und Materialien wurden verwendet? Entsprechend der Klärungen mit den Urheber*innen wird das Video-Material daher entweder online veröffentlicht oder ist nur im Mime Centrum direkt vor Ort einsehbar.