Einige reisen nach Eldorado. Stadttheater Bremerhaven, März 2010:
Üblicherweise sind Hotels Orte für Fremde auf der Durchreise: Geschäftsleute, Touristen und heimliche Liebende befinden sich unter einem Dach, ohne dass sich ihre Wege kreuzen. Anders bei VERZÖGERTE HEIMKEHR einige reisen nach eldorado. Ab dem Moment, in dem die Besucher an der Rezeption des ehemaligen “Nordsee-Hotel Naber” einchecken, beginnen sie eine Reise, deren Ende ungewiss ist & die sie tief in die subjektiven Räume der eigenen Stadt führen wird, in denen sehr unterschiedliche Varianten des goldenen Floßes von El Dorado aufscheinen.
Unterschiedlichste Akteure als echte Fakes, die Räume des Hotels als begehbare Stills aus Lebensfilmen fremder Menschen. Eine theatrale Installation im Luxus-Hotel der 50er Jahre, dessen ehemaliger Oberkellner sich noch an die Menüfolge für Juan Carlos & die Tischmanieren von Franz Josef Strauss erinnert. In den Akteuren bildet sich die ökonomische Pyramide Bremerhavens ab: In Suiten & Einzelzimmern, Kammern der Etagen-Kellner & Warteräumen der Zimmer-Mädchen des abgewirtschafteten Luxus-Hotels treten sie als souveräne Besetzer ihnen fremder sozialer Positionen in Erscheinung. Es entsteht eine Abbildung von Gemeinschaft in subjektiven Clips, changierende Politiken der Aneignung in zitierender Verschiebung. Identitäten werden zu Einsätzen im Glücksspiel mit Besuchern. Reisen zu Sehnsuchtsberichten einer Stadt, die fürs Auswandern gegründet wurde, durch Zuwanderer wuchs & heute zwischen Container-Hafen & Hinterland der Metropolen, Brennpunkt-Klischees & Touristen-Mole ihren Ort sucht. & während im Ballsaal der BALLROOM tobt, wo jeden Abend andere Bands aus der Stadt von Swing über Zombie-Punk, Death Metal bis hin zu alten Werft-Senioren aufspielen, kommen die Besucher nach Verbringung aus den oberen Etagen auf sich allein gestellt an fremden Orten unterschiedlichster Milieus wieder zu sich, die weit entfernt liegen vom Hotel im Zentrum. Die letzten Tage des Hotels haben begonnen, bevor es für immer untergeht…
[Quelle: http://www.matthaei-und-konsorten.de/projekte/verzogerte-heimkehr-2/]
„Verzögerte Heimkehr“ heißt das Projekt, mit dem der Regisseur Lukas Matthaei im Auftrag des Stadttheaters vom 19. März bis zum 2. April das leere Hotel bespielen wird. Die Besucher bewegen sich durch das Haus, das sie bis in den letzten Winkel erkunden können, und begegnen dort Menschen, die ihnen von ihrem Leben und ihren Sehnsüchten berichten. Der minderjährigen Mutter, die mit einem eigenen Kind auf der Suche nach etwas ist, was sie in ihrer Familie nie erfahren hat, Berufstätigen, Hartz-IV-Empfängern, der Anwältin und der Opernsängerin, die nach ihrer Karriere wieder heimgekehrt ist nach Bremerhaven.
Die typische Theatersituation, sich zu setzen, zurückzulehnen und mal abzuwarten, was einem so geboten wird, wird geradezu umgekehrt. „Es hat schon etwas mit Abenteuer zu tun“, sagt Matthaei. Der Regisseur ergründet seit 2002 unter dem Label Matthaei & Konsorten mit nahezu detektivischem Gespür Stadtgesellschaften, kartographiert deren Einzelschicksale und spiegelt Alltag in künstlerischen Zusammenhängen wider. Das Hotel mit all seinen verblassenden Geschichten, den Festlichkeiten, der Freude und den Dramen, den Promis, die dort übernachteten, den politischen Hinterzimmergesprächen und den heimlichen Amouren, erscheint den Theaterleuten dafür als der perfekte Ort.
Und den wollen sie an den Aufführungstagen noch einmal so richtig zum Leuchten bringen. Während die Theaterbesucher sich oben auf die Reise machen, öffnen sich im Erdgeschoss die Türen zu den Ballsälen und der Bar für alle Bremerhavener, die sich von dem „alten Naber“ verabschieden möchten. Nicht in Trauer- sondern in Partystimmung. Am Abend stehen dort unter dem Motto „Ballroom Blitz“ Bands auf der Bühne, die das gesamte musikalische Spektrum der Seestadtszene widerspiegeln. Von Oldschool-Rock, Metal und Punk bis zu Jazz und Soul. Höhepunkt wird der Abschlussball am 2. April sein, bei dem sich jeder noch mal nach seinem Gusto „in Schale“ werfen und richtig auf den Putz hauen kann.
Dabei wird auch das Motiv eine Rolle spielen, das im Untertitel der Aufführung anklingt: „Einige reisen nach Eldorado“. Das goldene Floß aus diesem sagenumwobenen, doch niemals gefundenen Land dient Ausstatterin Dorothea Ronneburg als Metapher für den Aufbruch zu einem „inneren Sehnsuchtsort“, der durch ihre Inszenierung auf spektakuläreArt und Weise anschaulich gemacht wird: Als glänzende Bühne in einem ansonsten völlig schwarz ausgeschlagenen Festsaal.
[Quelle: http://www.nordsee-zeitung.de/region/bremerhaven_artikel,-Letzter-Akt-fuer-Naber-Hotel-_arid,526155.html]
cru
Einwohner Bremerhavens