INTERNATIONALES THEATERINSTITUT / MIME CENTRUM BERLIN

MEDIATHEK

FÜR TANZ

UND THEATER

MCB-DV-9001

Kompass durch den Sumpf

Beschreibung

Kompass durch den Sumpf 

I. Kompass durch den Sumpf ist ein abendfüllendes Tanztheaterstück von 1989. In dieser letzten großen Gemeinschaftsproduktion setzen sich Claudia Feest, Dieter Heitkamp, Annette Klar, Kurt Koegel, Ka Rustler, Howard Sonenklar, Klaus Staffa und Gayle Tufts mit der persönlichen Geschichte des beinahe vergessenen Berliner Schriftstellers Reinhard Gehret auseinander. Gehret wurde am 24. April 1986 tot in seiner Wohnung in Berlin Schöneberg gefunden. Dort entdeckte man unter anderem sein Tagebuch, in dem er sich über 24 Jahre lang mit seinen Depressionen auseinandersetzte. Dieses Tagebuch nannte er Kompass durch den Sumpf.

Es war „seine einzige Rettung vor dem Sumpf“ der Depressionen. Insgesamt wurden 30 vollgeschriebene Kladden gefunden.1 Neben den Kladden wurden noch unzählige Zettel, Bücher, Tonbandaufnahmen und tausende Seiten voller bizarrer und surrealer Texte und Geschichten entdeckt. Seine Werke trugen absurde Namen wie Wortgliedmaßen und Bewusstseinsreste und offenbarten ein skurriles Bild der menschlichen Existenz und seiner Lebensweise in der Anonymität der Großstadt.2 In Kompass durch den Sumpf lesen die Tänzer Gehret, dabei ist es „keine Autobiographie, keine Autopsie.“ Es sind „fiktive Geschichten aus einem Leben über Leben unter Zucker.“ Zusammen „gehen sie durch den Sumpf [...], […] treffen sich an einem Grab und eine Geschichte nimmt ihren Lauf.“3 Es stellte sich als schwierig heraus ein Stück kollektiv zu erarbeiten, doch als das Ensemble die Texte und das Leben Gehrets, auf den Feest zufällig in einem Zeitungsartikel stieß, zur Grundlage der gemeinsamen Produktionen machte, kam der Probenprozess wie von allein in Gang. Das Thema und Gehrets Texte, hatten sie aus den Sumpf der kollektiven Krise heraus navigiert, was ein weiterer Anlass für den Titel war.

II. Auf einer dunklen Bühne steht eine Frau im Regenmantel auf einem Podest. Nach und nach versammeln sich Tänzer und Tänzerinnen um einen aufgehäuften Berg von Matten. Die Bewegungslosigkeit sowie die gesenkten Köpfe vermitteln den Eindruck einer Beerdigung.

Tufts singt dazu End of the World. Melancholische Szenen wie diese werden gefolgt von energetischen Tanzszenen, in denen sich alle acht Tänzer*innen wild über eine leere, in pinkes und blaues Licht getauchte Bühne bewegen und alle Gliedmaßen von sich schleudern. Drehen, Heben, Rennen, Schreien, übereinander Springen sowie eine treibende, rhythmische Musik bestimmen das Geschehen, wobei die Tänzer*innen immer wieder in Posen verharren. Collagen-artig wechselt sich das furiose Treiben mit Soli und Duetten ab und die Tänzer und Tänzerinnen nehmen in immer wechselnder Konstellation den Bühnenraum mit ihren tänzerisch sowie verbal erzählten Geschichten ein. Experimentelle Musik von düster zu punkig, Live-Musik von Tufts und Staffa, (Staffa komponierte die Musik parallel zum Probenprozess; die Songs sind in Zusammenarbeit mit Tufts entstanden, basierend auf den Texten von Gehret), Audioaufnahmen von Gehret, Tanz und Text wechseln sich ab und kreieren ein Bild des rastlosen Großstadtdschungels. Die Bühne bleibt oft leer und die Matten, ein kleiner Tisch und diverse Kisten und Koffer sind die einzigen Requisiten. Die Kostüme bestehen zum größten Teil aus Alltagskleidung sowie aus um sich geschlungenen Decken. Kompass durch den Sumpf endet mit langsamen, minimalen Bewegungen unterstrichen von düsteren Klängen. Versetzte Sprünge, die abwechselnd immer schneller nacheinander stattfinden, kreieren ein letztes Mal den Eindruck einer in sich zusammenstürzenden und mit Spannung aufgebauten Atmosphäre.  


NB: Teile der Hintergrundinformationen stammen aus einer Korrespondenz mit Claudia Feest am 14.08.2017 sowie mit Dieter Heitkamp am 06.09.2017.

Archivsignatur der Akademie der Künste: AVM-33 10027/5 (https://archiv.adk.de/objekt/2926568)


1Henne, Claudia: „Immer unterwegs - eine lange Geschichte phantastischer Reisen“, in: Feest, Claudia, Tanzfabrik e.V. (Hg.): Tanzfabrik Berlin, Berlin, Hentrich & Hentrich, 1998, S. 32-39, hier S. 38f. 

2Henne, Claudia: „Zu schön um wahr zu sein! - Kompass durch den Sumpf „, ein Tanztheaterstück von 8 Menschen, präsentiert von der Tanzfabrik, Premiere am 23.3.1989, kommentiert von Claudia Henne für das "journal in 3" am 28.3.1989. In: http://tanz1.tanzatlas-deutschland.de, URL: http://tanz1.tanzatlas-deutschland.de/xmlui/bitstream/handle/10886/92/Henne_ZuSch%C3%B6nUmWahrZuSein_TF_280389.pdf?sequence=1 (Zugriff 17.07.2017).

3„Terra incognita – Spurensuche im Unbekannten“, in: Feest, C., Tanzfabrik Berlin e.V. (Hg.): Tanzfabrik Berlin, 1998, a.a.O., S. 52-71, hier S. 61. 

Gruppe / Compagnie / Ensemble
Choreographie
Darsteller
Bühnenbild
Musik
Licht
Video
Standorte
MCB
Reihe
Sprache
de;en
Aufnahmedatum
Freitag, 28. April 1989
Orte
Stadt
Berlin
Land
Deutschland
Kamera
André Thériault
Länge
84 min
Themen, in denen dieses Video erwähnt wird