Einar Schleef trägt vor aus "Ecce Homo" von Friedrich Nietzsche.
(Sehr schlechte Bildqualität.)
// Presse //
Der Regisseur gastierte mit seinem Nietzsche-Monolog im Thalia Theater
Hamburg - Einar Schleef ist eine Ausnahmeerscheinung am deutschen Theater. Sein Pendant in der deutschen Philosophie ist Friedrich Nietzsche. Die zwei mussten einfach zusammenkommen. Der wissenschaftliche Sprachrhythmiker und der obsessive Rhythmussprecher. Im Hamburger Thalia Theater gastierte Schleef jetzt mit "Ecce Homo" - keine Lesung, sondern ein Auftritt der außerordentlichen Art: 60 Minuten lang schleuderte ein halluzinierender Prophet seine Gedankenvisionen von der Rampe ins Parkett, gab brüllend und schmeichelnd ein Beispiel rhetorischer Kunst und auch von rattenfängerischer Führerdemagogie.
Die abgedunkelte Bühne im Rücken, wurde Schleef mit den krausen Utopien des deutschen Nachdenkers zu einer Art Vordenker des Possenprinzen, der über die "Herkunft des deutschen Geistes aus betrübten Eingeweiden" räsonierte. Aber der Monolog mit Wasserglas ist auch Nietzsches wortmächtige Selbstbespiegelung, die Schleef, Tempi, Forte und Piano der Sprachmusik mit der Rechten dirigierend, auskostet: Zum Trompetenstoß des "Wer ich bin?" reißt er mit imperialer Geste den Arm hoch, Handflächen nach unten - und unwillkürlich fühlt man sich 1000 Jahre zurückversetzt in den Berliner Sportpalast.
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Der Redner drückt sich nicht vor der Gewalt Nietzsche'scher Utopie, auch nicht vor der Macht der Rede, ironisiert sie aber auch nicht. Der Text scheint wie ein innerer Film abzulaufen, als präzise strukturierte Partitur, die Pausen, Akzente und sanftes Parlando verzeichnet. Verlässt er sie, wie bei der Ankündigung der Heine-Gedicht-Zugabe, holt ihn seine Sprachhemmung ein, die er im Form-Korsett von Rhythmus so kunstvoll bannt.
Fritz, der explosive Philosoph, beschäftigt Schleef jedenfalls weiterhin. Im Juni 2001 spielt und inszeniert er seine "Nietzsche-Trilogie" mit Edith Clever als Schwester am Akademietheater in Wien.
Von KLAUS WITZELING
Pathologisches Ego: Einar Schleefs Nietzsche-Show
„Und so erzähle ich mir mein Leben“, heißt es da zu Beginn von Ecce homo, der Schrift, die Friedrich Nietzsche kurz vor der Verabschiedung in die geistige Umnachtung im Januar 1889 niederschrieb. Eine vom pathologisch übersteigerten Ich zeugende Selbstbiografie ist es, abgehandelt in meisterhaft formulierten, verrätselten Aphorismen. Umso mehr gibt sie Gelegenheit zu ausladenden Wortspielen und neuem Pathos des Geistes.
Das reizte auch den Regisseur Einar Schleef, ruhmreich durch Inszenierungen wie Oscar Wildes Salome in Düsseldorf oder Elfriede Jelineks Sportstück an der Wiener Burg. Die krankhafte Überhöhung einer Ich-zentrierten Persönlichkeit und ihre fatalen Auswirkungen auf die Geschichte treiben den Theatermacher Schleef seit vielen Jahren um. Und so zeigt er in seinem als „Lesung“ angekündigten Programm Nietzsche – Ecce homo – Schleef in einem Gastspiel im Thalia-Theaters seine Lesart des bis heute ob seiner Widersprüchlichkeit das Denken anregenden Philosophen.
Schon in seinem Essay Droge Faust Parsifal sprach Schleef von Nietzsches rhetorischer Qualität, die sich nur im „Lautlesen“ offenbare, „da für Nietzsche die laut gesprochene Formulierung und Verfolgbarkeit eines geordneten Denkvorgangs eng beieinanderliegen.“ Eine brave Rezitation ist da wohl nicht zu erwarten. Vielmehr legt Schleef die ausladende und musikalisch-rethorisch genau strukturierte Sprache Nietzsches frei.
Ecce homo schrieb Nietzsche, als er sein großes Projekt einer sys-tematischen Philosophie endgültig begrub. Eine Entscheidung, die für ihn Erleichterung und Niederlage zugleich bedeutete. Letztere begrub er jedoch unter der ekstatischen Beschreibung seiner selbst. Hinter Überschriften wie „Warum ich so weise bin“ greift er seine Feinde an, den Idealismus, den His-torismus, die Bildungsbürger, die Massenkultur, das Mitleid, Richard Wagner und die Moral. Nach dem Wegfall aller Inhalte und aller Werte gilt das Ästhetische ihm als einzige metaphysische Tätigkeit, die dem Menschen noch bleibt.
Schleef macht daraus eine One-Man-Show, die Nietzsches verlo-ckender Sprachkunst und seiner Persönlichkeit Bühnenpräsenz gibt. Manchmal sanft und voller Charme, dann wieder wild und mitreißend. Aber immer verführerisch.
taz, Annette Stiekele
[efr]