Multiples
Choreographie: Jacalyn Carley; Premiere 21.04.1989; Solo 35 min.; Kollaboration von Jacalyn Carley und Raymond Federman; Deutsche Texte gelesen von Sprecher*in: Isabella Mamatis, Raymond Federman; Texte von R. Federman: Alles oder Nichts 1; Before Us 2, Slogans 3, Mee Too / Mirauch 4; Dias: Udo Hesse; Musik: Alexis Kiriasis (Alfa-Omega, Ekkinheh); Toncollage: Jean Martin / Jacalyn Carley; Bühnentechnik: Martin Kamratowski
I. Bei Multiples handelt es sich um die „3-fache Wiederholung einer Choreographie in 3 Umgebungen“.
„#1 spielt in einem Zimmer in New York, nach einem Text von Raymond Federman.
Er fabuliert darüber, wieviele Schachteln Nudeln den täglichen Bedarf an Essen für ein Jahr decken können, und wie man nicht zu sehr über die Vergangenheit grübelt. #2 spielt in einer Diagonalen aus Licht in gespenstigem Grün. Es erforscht einen Konflikt zwischen einer Frau in einem Leinenkleid und einem unsichtbaren Partner, dargestellt durch die Kontrabass-Musik von Alexis Kiriasis. #3 spielt in den 60er Jahren, als Politik herausgeschriene Parolen waren, während sich alles in rasender Geschwindigkeit in unbestimmte Richtungen bewegte.“
Das Stück versteht sich als Experiment, die einzelnen Teile weisen keine inhaltlichen Zusammenhänge auf. Vielmehr ging es Carley darum herauszufinden, welche Bedeutung der jeweilige Kontext – d.h. Musik, Licht, Kostüm, kurz die Inszenierungsweise – für die Wahrnehmung einer stets gleichbleibenden Bewegungsfolge haben.5 Es zeigt einen sich wiederholenden Bewegungsablauf drei Mal hintereinander, der durch die jeweils anderen Kontexte entsprechend unterschiedlich lesbar wird.
II. #1 Das erste Bild zeigt eine leere Bühne, die Wände sind verkleidet durch einen weißen Vorhang; Carley ist barfuß, sie trägt eine weite schwarze Hose und ein weißes Shirt, die Haare sind zusammengebunden. Der Tanz ist gekennzeichnet durch die Verwendung durchaus unterschiedlichen Bewegungsmaterials wie Ballett, Release, aber auch turnerische und einzelne gestische Elemente. Durch die Tonbandcollage treten die Akzente und Pausen besonders hervor, dennoch wird der Text eher als Klangspur denn als inhaltlicher Bezugsrahmen verstanden, wodurch die Präsentation des Tanzes minimalistisch und reduziert wirkt.
#2 Das zweite Bild beginnt mit der
düsteren Klangspur eines dunklen durchgehenden Tons und mit Diaprojektionen von Udo Hesse, die auf die Vorhänge geworfen werden, sie zeigen Jacalyn Carleys Beine in einem schwarzen Tüllkleid; sie selbst trägt ein grünes glattes Kleid, Schuhe und offene Haare. Zum Text von Raymond Feermann „Before us“ beginnt sie erneut ihre Choreographie. Die Lichtregie ist expressiver eingesetzt als zuvor – mit großen Spannungen zwischen sehr dunkel eingeleuchteten Szenen und der grünen Diagonale. Hierdurch gewinnt die Bewegungsabfolge deutlich an Dramatik und wirkt teilweise wie ein Stück des expressiven Modern Dance, auch wenn das Bewegungsmaterial selbst nicht aus dieser Zeit stammt.
#3 Die Projektionen von Photographien begleiten erneut den Übergang zum dritten Teil; sie zeigen jetzt meist den ganzen Körper Carleys (immer noch im schwarzen Tüllkleid) in Bewegung. Zu lautem Klingeln und Schreibmaschinengeräuschen bewegte sie sich erneut mit dem gleichen Bewegungsmaterial, sie trägt nun eine weiße dreiviertellange Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Etwas später setzt der Text des männlichen Sprechers, nach einer Weile eine zweite, weibliche Stimme ein. Diese betonen am ehesten die Qualitäten der Klangfarben und erinnern hierin an Carleys Jandl-Choreographie und Schwitters Ursonate. Der Text wirkt hier als Dialogpartner zur Bewegung und so liefert dieser dritte Teil eine präzise kompositorische und humorvolle Studie zum bereits bekannten Bewegungsmaterial, das erneut ganz anders auf die Betrachter*innen wirkt.
Archivsignatur der Akademie der Künste: AVM-33 10036/11 (https://archiv.adk.de/objekt/2926577)
1 Federman, Raymond: Alles oder nichts, Franz Greno Verlag Nördlingen, 1986 Übersetzung: P. Torberg.
2 Federman, Raymond: Before us. Frz./engl. unveröffentlichte Gedichte.
3 Federman, Raymond: Take it Or Leave it, Fiction Collective New York City, 1976.
4 Federman, Raymond: Meetoo / Mirauch. Unveröffentlichte Gedichte, Übersetzung: P. Torberg,
5 Alle Angaben aus dem Programmheft: TanzText, Tanzfabrik, AnnA Stein.