Facing Time
I. Facing Time – im Angesicht der Zeit ist ein abendfüllendes Stück von Jacalyn Carley, dass im Mai 1986 im Studio 1 der Tanzfabrik Berlin uraufgeführt wurde und in der Folge auf Tournee ging. Es war die erste Tanzfabrik-Produktion, die, unterstützt durch das Goethe Institut, in New York City (St. Mark‘s Church-in-the-Bowery) gastierte. Die hier beschriebene Aufführung wurde im Studio 1 der Tanzfabrik unter Verwendung von wechselnden Kameraperspektiven, Zooms, Schwenks und Schnitten aufgezeichnet.
Wie bei dem Stück ...drin und Gewinn, immer so hübsch (1983) arbeitet Carley auch bei Facing Time mit den drei Tänzerinnen Riki von Falken, Lotte Grohe und Antja Kennedy.
Nachdem Carley zuvor, wie z.B. bei der Ursonate (1982), mit größer Besetzung und Ausstattung arbeitete, wendet sie sich mit Facing Time erneut einer explizit tänzerischen Herangehensweise zu und lässt sowohl Theatralität 1 als auch Textarbeit zeitweise hinter sich. Sie setzt den Fokus auf die primäre Körperlichkeit der drei Tänzerinnen und auf deren Bewegungen. In den Aufzeichnungen der Choreographin zu Facing Time ist außerdem zu lesen, dass sie auf der Suche nach ’authentischen’ Bewegungen Elemente aus der Wigman-Arbeit mit post-modernen Elementen verbindet 2 und bei der Entwicklung des Bewegungsmaterials sowohl auf choreographierte, wie auch auf improvisierte Teile zurückgriff 3. Carley widmete das Stück ihrer Lehrerin Brigitta Herrmann, Leiterin der Group Motion Dance Company (Philadelphia) und ehemalige Wigman-Schülerin.4
II. Aus völliger Dunkelheit heraus sind zunächst Geräusche von schnellen Fußbewegungen, wie Schrittfolgen, Springen und Laufen, zu hören, ehe eine Tänzerin (Lotte Grohe) von einem Spot beleuchtet, auf der Bühne sichtbar wird. Weitere Bewegungen werden hörbar und eine zweite Tänzerin (Riki von Falken) erscheint an anderer Stelle auf der Bühne in einem Lichtkegel, während die erste wieder in der Dunkelheit verschwindet. Nach den zwei kurzen Solos folgt ein Trio am Boden. Die Tänzerinnen sind in weite unterschiedlich farbige Hosen (blau, rot, gelb) kombiniert mit dunklen Trägeroberteilen gekleidet. Die Bühne ist leer. Auf den Boden ist eine große helle Spirale auf dunklem Grund gezeichnet. Eine archaisch anmutende abstrakte Malerei in Grüntönen ist auf der Rückwand zu erkennen. Erst nach einer Weile erklingt ein Blasinstrument, dessen Töne bald mit anderen Instrumenten zu einer komplexen Komposition unterschiedlicher Klangstrukturen verdichtet werden. Sowohl in der Bewegung als auch in der Musik finden sich wiederkehrende zirkulierende Formen. So beschreibt der Musiker Friedemann Graef, dass er für Facing Time Rhythmen kanonartig am Computer überlagert hat und mit strukturellen Bezügen zum indischen Raga arbeitete.5 Während des Entstehungsprozesses komponierte Graef die Musik sowohl nach der Choreographie, teilweise ging sie ihr aber auch voraus oder beide entstanden parallel und unabhängig voneinander. Für die Aufführung wurde die Musik aufgezeichnet und von Band wiedergegeben. Die Bewegungen der Tänzerinnen nehmen geometrische Formen wie Kreise, Quadrate und Linien auf und spielen sowohl mit Synchronität als auch mit Momenten der Desynchronisierung und Variation. Imaginäre Symbole und Zeichen bestimmen die Raumwege. Gleich einem Labyrinth führen diese die Tänzerinnen immer wieder zueinander und voneinander weg. Drehungen um die eigene Achse und verschiedene Umlaufbahnen in Verbindung mit dem Klanggeschehen schaffen eine starke Betonung von Zeitlichkeit und Rhythmus.
Archivsignatur der Akademie der Künste: AVM-33 10020/2 (https://archiv.adk.de/objekt/2926503)
1 “The movement left all theatricality behind, the three women and their physicality was topic,“ schreibt Carley in ihren Notizen unter dem Punkt Facing Time. Carley, Jacalyn: Choreographic Works 1979 – 1999, in: Webseite der Künstlerin, URL: http://jacalyn-carley.com/wp-content/uploads/sites/3/2013/12/Carley-Choreography-1977-to-1997.pdf (Stand: 01.12.2018)
2Ebenda.
3Programmheft Facing Time, S. 3.
4Ebenda.
5Ebenda, S. 12.