Ein Berg Tafelsilber liegt bereits am Boden, da kommt die mädchenhafte Gestalt noch einmal mit einem Tablett über die Bühne marschiert, schüttet weiteres Besteck dazu und wirft sich fast hinterher. Sie stampft unzufrieden auf, schreit, bemerkt dann ihre schmerzende Schulter und fingert mit großen Eulenaugen in ihren langen, schwarzen Haaren: Haarausfall. Der Verlust kennt viele Facetten an diesem seltsamen Revisionstheaterabend mit dem etwas abdriftenden Titel "b(u)y me". So slapstickhaft Besteck und Haare über die Bühne fliegen, umspielt er zwei scheinbar gegenläufige Dinge: Brechts "Badener Lehrstück vom Einverständnis" und den künstlerischen Neuanfang seiner Darstellerin und Produzentin Sabine Truckenbrodt.
Sterben, loslassen, sich selbst überwinden - davon handelt Brechts Stück aus dem Jahr 1930. Ein Flieger und seine drei Monteure sind über die Wolken hinausgeschossen und lernen, abgestürzt auf den Boden der Tatsachen, sich wieder irdischen Zielen unterzuordnen. Soll heißen, die Welt zu verbessern. Im Jahr 2003 ist Susanne Truckenbrodt verschmitzt genug, in diesem Wolkensturz die eigene Existenz zu spiegeln. Nach fast zwölf Jahren am Orphtheater, dessen künstlerische Leiterin sie seit 1994 war, wirft sie ihren Mut nun noch offener als zuvor in die Arena. Zukünftig will sie unter eigenem Namen freie, experimentelle Theaterprojekte ins Leben rufen. Zwischen Selbstrevision und Selbstgewissheit mag Truckenbrodt sich in ihrer neuen Manager/Künstler-Existenz mehr denn je dem Flieger aus Brechts Stück nahe wissen. Um das fragile Spiel vom Selbst- und Anderssein auf die Spitze zu treiben, hat sie es nicht eigenhändig inszeniert, sondern vier Choreografen gebeten, jeweils zehnminütige Performances für sie zu entwerfen.
Herausgekommen ist eine teils witzige, teils undurchsichtige und fast hypertrophe Revue etwas launischer Individuen, die irgendwie loslassen können wollen. Die Choreografen Toula Limnaios, Jo Fabian, Arthur Kuggeleyn und die Regisseurin Christina Emig-Könnings schlagen die unterschiedlichsten Tonlagen an. Sie kneten Brechts Text ironisch durch, versetzen ihn ins Irrenhaus und bekleben ihn mit buntem Papier. Truckenbrodt spielt das mit so viel selbstironischer Distanz, dass man ihr für das wenig Fassbare, Beliebige dieses Abends nicht böse sein will. Ihr Ausdruck schwebt in bissig-naiver Zwiespältigkeit, wie ein Kinderspiel gleichermaßen lieb und böse.
Zu Anfang schiebt sie sich wie ein Troll über die Bühne; unentwegt brabbelt sie im englischen Kauderwelsch. Schließlich stolziert ein fabelhaft phosphoreszierendes Insekt auf die Bühne. Wie zwei bunte Flügel hängen beschriebene Papierbögen an seinen Schultern. "Ich bin schön und groß", versichert das eitle Texttier von Jo Fabian, das niemals Brecht folgen und seine "kleinste Größe" annehmen würde. Ein bizarrer Auftritt ist das, der den zerstreuten Abend ganz dem schillernden Maskenspiel überlässt.
Berliner Zeitung vom 1.3.03