Yumiko Yoshioka hat beinahe exemplarisch die Begegnung Europas mit der Stilrichtung des Butoh durchlebt. Als Tänzerin kommt sie 1978 mit dem Stück „Dernier Eden“ des Frauen-Ensembles Ariadone nach Europa. Es ist die erste Butoh-Performance außerhalb Japans überhaupt und die Aufnahme verhalten. Das Engagement in einem Pariser Kabarett endet nach nur einem Auftritt mit der Entlassung durch den Clubbesitzer. Erst im erneuten Anlauf in einem kleinen Privattheater erspielen sich Ariadone ein stetig wachsendes Publikum. 1981 gastiert das Ensemble unter der Leitung von Ko Morubushi und Carlotta Ikeda zum zweiten Mal in Paris. Butoh ist bereits ein Begriff, und man füllt 150 Vorstellungen in einem Jahr. Die konfrontative Spannung bei den ersten Europa-Gastspielen wird für Yumiko Yoshioka zum Schlüsselerlebnis. Sie beginnt, zwischen Europa und Japan zu pendeln, denn: „In Europa zu leben, bedeutet Reibung für mich.“ Und Reibung ist die Quelle, aus der die Tänzerin auch bald als Choreografin und Lehrerin, die sich zwischen der dritten und vierten Generation von Butoh-Künstlern verortet, ihre eigene Bewegungsenergie schöpft. Unter Einfluss verschiedener asiatischer Trainingsmethoden und Schulen entwickelt sie auf Butoh-Basis einen individuellen Stil, die „Body Resonance“. Integriert sind darin Elemente der Nogushi Gymnastik, des Yoga und Tai Chi. Im Zentrum steht die Freilegung der Erinnerungs-Schichten, die im Körper eingelagerte Energien und Erfahrungen enthalten. Yoshioka nennt sie „kosmisch“ und „universell“. Dieses innere, größtenteils verschüttete Reservoir beinhaltet nicht nur rationales und emotionales Wissen, sondern in verwandelter Form auch Elemente und Kräfte aus der Natur. All das begreift Yumiko Yoshioka als einen archaischen Fundus des Menschlichen, den es zu reaktivieren gilt. Klassische Butoh-Motive dienen dabei als Vehikel zu einer Umwandlung von Energie: „Es gibt ein Feedback zwischen Imagination und Körper. Ich versuche, dem Tänzer Antennen anzuzeigen, auch durch Bilder, die ich ihm gebe, um von außen und innen Eindrücke und Information kanalisieren zu können. So kommen wir in einen Zustand, in dem wir über unser Ego hinausgehen können, uns verwandeln“, so Yoshioka in einem Gespräch. Seit 1988 lebt und arbeitet die Japanerin in Deutschland. In den folgenden Jahren tanzt und tourt sie vor allem mit Minako Seki und Delta Ra’i in dem gemeinsam gegründeten Ensemble tatoeba – THÉÂTRE DANSE GROTESQUE. 1995 trifft sie bei einem Arbeitsaufenthalt mit tatoeba im deutschen Kulturzentrum Schloss Bröllin auf ihren bis heute wichtigsten künstlerischen Partner: den Bildhauer Joachim Manger. Als sich tatoeba wenig später auflöst – alle drei Macher haben neue künstlerische Pläne – entsteht fast zeitgleich das TEN PEN CHii art labor. Die Auseinandersetzung der Körperarbeit Yoshiokas mit Mangers objekthaften Bühneninstallationen steht im Zentrum der Stücke, die TEN PEN CHii seither produziert hat. Sie beeinflusst auch die Lehrtätigkeit der Tänzerin: Mit Manger veranstaltet sie Workshops in Tanz und Skulptur. Ob Neo-Nationalismus in Deutschland („Brown Shadows“, 1995) oder die Schimären der Gentechnik („Testlabor Z.0005“, 2001) – thematische Berührungsängste scheint es im art labor nicht zu geben. Man sucht den Kontrast zwischen der Butoh-grundierten Bewegungsästhetik und zeitgenössischen Themen, die Yoshioka rückkoppelt an ihre Suche nach Elementarempfindungen. Zum bisher aufwändigsten wurde das letzte Projekt „Testlabor Z.0005“, das vier Tänzer in eine bedrohliche, 2, 50 Meter hohe Metallmaschine einschließt. Im Umraum freigelassene Hasen betätigen willkürlich Lichtschranken, die Verengungs- und Öffnungsmechanismen bewirken und die Körper mal hermetisch gefangen setzen, dann wieder in die Freiheit zweier Wasserbecken entlassen. Gleich bildreich und metaphorisch aufgeladen, wenn auch ästhetisch schlichter sind die Stücke, die Yumiko Yoshioka als Solistin erarbeitet und mit denen sie parallel zu ihrer Arbeit mit TEN PEN CHii, ihrem Engagement als Pädagogin, aber auch als künstlerische Leiterin und Kuratorin mehrerer Projekte auf Schloss Bröllin, regelmäßig tourt. (Quelle: www.culturebase.net)