Die Bühne dreht sich. Angelina Dreem Eins trägt eine Latex-Maske mit langen schwarzen Haaren. Sie sitzt auf einem Sofa in hochglänzender Reality-TV-Ästhetik und rekelt sich in Pose. Das Bühnendisplay dreht sich weiter. Set zwei zeigt Fitnessgeräte und Wellnessbereich, Angelina Dreem Zwei fährt in einen Tomografiescanner.
Angelina Dreems Leben ist eine Soap. Aber ihr Leben ist auch real. Angelina Dreem ist krank. Sie hat Krebs. Im Laufe des Stückes existieren immer neue Doppelgänger von ihr, die von einer Rabbit-Hole-Realität in die andere fallen. Älter werden, Frau sein, sie/man selbst bleiben, sich selbst dann doch wieder austreiben. Die Frage in Women in Trouble ist, ob es etwas zu lernen gibt. Kann das nächste Leben ein besseres Leben werden?
„Was mich überhaupt nicht interessiert, ist Ironie.“ Susanne Kennedy, 1977 geboren, traut dem Theater nicht recht. Oder anders: Sie will zurück zum Kern des Theaters. Deshalb setzt sie ihren Schauspielern Masken auf und spielt Text als Voice-Over vom Band. Gegen die Präsenz, die die Bühne so schwer wiegen lässt, und die im richtigen Moment doch den Beweis liefert, dass uns das Ritual des Theaters auch nach 2500 Jahren noch immer alles sagen kann. Kennedy ist dem Tod auf der Spur. Ihre Operninszenierung Orfeo (2015) hat den Untertitel „Eine Sterbeübung“ und auch ihre aktuelle Regiearbeit Die Selbstmord-Schwestern (2017), nach Jeffrey
Eugenides’ Roman The Virgin Suicides, blickt aus der Perspektive des Todes auf das Leben.
Warum muss Medea ihre Kinder immer wieder ermorden, warum muss Hamlet immer wieder sterben? „Wir haben das Bedürfnis, an einem Ort zusammenzukommen, um mitzuerleben, wie Menschen lieben, leiden, morden, sterben. Schauspieler sind wie Stalker, sie nehmen uns mit in einen Raum der Wünsche. Sie sind ortskundig, wo wir uns fremd fühlen“, glaubt Kennedy. Mit der Marieluise-Fleißer-Bearbeitung Fegefeuer in Ingolstadt (2013) und der Fassbinder-Adaption Warum läuft Herr R. Amok? (2014) wurde sie an den Münchner Kammerspielen zu einer der gefragtesten Theatermacherinnen der Republik. In Women in Trouble karussellen die Double durch keimfreie Kulissen: Ist es ein hyperrealistisches Scientology-Center, eine virtuelle Krebsklinik – oder schon das Nachleben?
Seit über 15 Jahren beschäftigt uns die Idee des Anthropozäns. Sie besagt, dass die Menschheit zu einem geologischen Faktor geworden ist. Wir kratzen nicht nur an der Oberfläche der Natur, sondern verändern sie tiefgreifend. Natur und Kultur, Lebewesen und technische Objekte bilden ein neuartiges Kräfteverhältnis. Kennedy sagt, es gälte in diesem Moment loszulassen: „Das Subjekt ist doch kein Thema mehr! Die Dinge, die wir mal erfunden haben, um den Menschen auf der Bühne zu repräsentieren, greifen nicht mehr. Sich selbst zu finden, heißt, sich selber zu verlieren.“
In ihrer ersten Inszenierung für die Volksbühne entwickelt die Regisseurin Vervielfältigungskabinette, in denen aufgesplitterte Menschen in ungeschönter Menschlichkeit sichtbar werden. Mit jeder Umdrehung verändert sich die Matrix.
MIT: Suzan Boogaerdt, Marie Groothof, Niels Kuiters, Julie Solberg, Anna Maria Sturm, Bianca van der Schoot, Thomas Wodianka
REGIE & DREHBUCH: Susanne Kennedy
SOUNDDESIGN & KÜNSTLERISCHE MITARBEIT: Richard Janssen
BÜHNENBILD: Lena Newton
KOSTÜME: Lotte Goos
BELEUCHTUNG: Rainer Casper
VIDEO: Rodrik Biersteker
KOPRODUKTION: Theater Rotterdam
VIDEOSCHNITT FÜR STREAM: Richard Janssen
DANK AN Ruth Tromboukis
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