„Nachbarschaft als ein Phänomen der Grenze teilt in Fremdes u: Vertrautes, in das Andere u: das dem-Selbst Zugehörige; entscheidet über das Schließen von Bündnissen & Freundschaften, wodurch Feindschaft verschwindet od aber erst entsteht.“ (Reinhard Jirgl in „Abtrünnig“)
„Abtrünnig" geht den Geschichten von Menschen in sich rasant verändernden Landschafts- und Stadträumen nach, folgt ihnen an Orte und in Zustände, wo sichere Grenzen verfließen und neue sich auftürmen, wo sich Biografien und Erleben im Zusammentreffen mit dem Anderen, dem Nachbarn, und der fremden Geschichte des Anderen überlagern, durchdringen und bisweilen zu neutralisieren scheinen. Das Schauspielprojekt folgt zwei nicht mehr jungen Männern in die nervöse Metropole Berlin kurz nach der Jahrtausendwende. Ein Beamter des BGS, ehemaliger DDR-Grenzsoldat, verhilft einer jungen Ukrainerin, Valentina, illegal über die deutsch-polnische Grenze. Er lässt sein Leben in Frankfurt / Oder hinter sich und begibt sich als nächtlicher Taxifahrer auf die Suche nach ihr. Auf der Suche ist auch der Bauernsohn aus dem Wendland, der den Hof seines Vaters ausgeschlagen hat, nach Hamburg aufbricht, um dort als Journalist zu arbeiten und sich Hals über Kopf in seine Therapeutin, Sophia, verliebt und schließlich folgt - ins Dickicht der Großstadt. Aber nirgends und für niemanden liegt neues „Ungelebtes Leben bereit, zu dem man nur herkommen und es aufzuheben braucht.“ - heißt es im Roman.
Als „ wütender Dämon und sprachmächtiger Erbe des Expressionismus“ wurde Reinhard Jirgl bezeichnet. (Süddeutsche Zeitung, 18.10.05) Das Projekt versucht, diese hohe poetische Kraft, das treibende Tempo der Wortkaskaden, die zwischen bösen Träumen und Wirklichkeit kaum jemals eine Lücke lassen, aufzunehmen und nutzt Jirgls Text für eine Geisterbahnfahrt entlang der Grenzen, die „können verschwinden, aber sie ändern sich nie.“
BEARBEITUNG, REGIE: Janek Müller
AUSSTATTUNG: Peter Wächtler, Janek Müller
DRAMATURGIE: Dunja Funke
SOUND: Hempel und Sauter
MEDIEN: Olaf Helbing
DARSTELLER: Susann Maria Hempel, Susanne Sachsse, Mariel Jana Supka, Olaf Helbing, Ronny Marzillier, Christian Wittmann
Koproduziert von Theater Hebbel Am Ufer Berlin, Junges Theater Bremen
Mit freundlicher Genehmigung des Carl Hanser Verlags
Abwanderung und Leerstand, Weggehen und Zurückkehren, Rausch und Ernüchterung sind die Themen der Projektreihe EMPTY ROOMS / COMPLETELY FURNISHED. Die Perspektive des deutschen Ostens spielt dabei eine besondere Rolle.
Was im Osten hart erarbeitete Ernüchterung ist, dehnt sich nun auf den Westen des Landes aus. Die Abwanderung der Bevölkerung nach Über- oder in Richtung Bodensee lässt leere Räume zurück - vollständig eingerichtet mit dem Mobiliar von Abschiedsszenen, scheiternden Aufbrüchen, nicht eingestandener Enden, der entzauberten Rückkehr und dem fremd gewordenen Eigenen. EMPTY ROOMS / COMPLETELY FURNISHED geht den Geschichten von Menschen an diesen unschlüssigen Orten nach.
Gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds,
Thüringer Kultusministerium, Kulturstiftung des Freistaats Thüringen,
koproduziert durch Theater Hebbel am Ufer Berlin.
[msb]
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http://www.theaterhaus-weimar.de/Abtruennig_text.html [02.11.2022]