Teil 3: Blick zurück nach vorn - Theater zwischen 1945 und 1965.
Als der Krieg zu Ende ist, fängt mit den Feiern, der Trauer und der neuen Hoffnung auch das Theater wieder an zu spielen: Das Deutsche Theater in Berlin zeigt Lessings lange verbotenen „Nathan der Weise“. Gründgens kehrt aus der russischen Gefangenschaft zurück und beginnt seine zweite Karriere. Kortner, Brecht und Piscator kommen aus dem Exil zurück. Und in Italien gründet ein ehemaliger junger Partisan, Giorgio Strehler (Foto), das Piccolo Teatro, das politisch-zeitgeschichtliches Bewusstsein mit höchst artistischen und ästhetischen Ambitionen verbinden will.
Unter dem Eindruck des neuen Kalten Krieges und der Trennung West- und Osteuropas nach dem 2.Weltkrieg taumelt und tanzt das Theater zwischen den Welten: Zwischen Erneuerung und Restauration, zwischen Atemholen und neuem, protestierendem Aufschrei. Es ist die Phase, in der - von Brecht und Beckett abgesehen - die Meisterregisseure und klassisch-modernen Dramatiker (von Sartre bis Zuckmayer, von Anouilh bis Max Frisch und Dürrenmatt) ihre Triumphe feiern. Das Fernsehen ist im öffentlichen Bewusstsein noch kein konkurrierendes Medium, die Pop-Kultur als mögliche Gegenwelt (oder Spiegelbild) ist noch nicht erwacht.
Die alten und neuen Meister: In Italien beginnt Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre die Weltkarriere Giorgio Strehlers und seines Mailänder Piccolo Teatro. Brecht nennt ihn 1956, als er Strehlers Version der „Dreigroschenoper“ sieht, den wohl besten Regisseur Europas. Strehlers Inszenierungen von Goldoni, Shakespeare, Tschechow, Pirandello, Brecht und Beckett verbinden Elemente körperartistischen Volkstheaters mit einer poetischen Synthese aus Licht, Stimmen, musikalischem Rhythmus und psychologischer Raffinesse, wie sie die Bühne bisher kaum kannte.
Im deutschsprachigen Theater setzen die Größen des Theaters vor 1945 im wesentlichen ihre Karriere fort: Sellner, Stroux, Buckwitz, Schweikart, Hilpert - vor allem aber Gustaf Gründgens, dessen Hamburger „Faust“ mitsamt seiner Filmversion zur Legende wird. Brechts Arbeiten am Berliner Ensemble prägen über Jahrzehnte das Theater der DDR. Nur einem seiner Schüler, Benno Besson, gelingt es, mit eigenen, ungewöhnlichen Theaterarbeiten internationale Aufmerksamkeit zu erregen.
Im westdeutschen Theater bilden zwei zurückkehrende Emigranten den Gegenpol zu Gründgens: Erwin Piscator versucht noch einmal eine Wiederbelebung des politischen Zeittheaters und hat zumindest mit der Uraufführung von Hochhuts „Stellvertreter“ 1963 Anteil an einem Welterfolg; Anteil auch an einem Leitthema des Nachkriegstheaters: der Aufarbeitung des Nazi-Schreckens, von Zuckmayers „Des Teufels General“ (1947) bis zu Peter Weiss’ Auschwitz-Oratorium „Die Ermittlung“ (1965).
Piscator stirbt 1966. Für eine ab Mitte der sechziger Jahre startende neue Generation von Theaterkünstlern sind jedoch prägender als Piscator die Inszenierungen Fritz Kortners. Kortner setzt dem äußeren, glänzenden Formbewusstsein des Gründgens-Theaters in seinen Shakespeare-, Goethe- und Büchner-Inszenierungen die leidenschaftliche, bohrende inhaltliche Ergründung von Texten und Figuren entgegen.
Kortner stirbt 1970. Da hat in Osteuropa, in den USA und im deutschen Theater bereits eine Revolte begonnen, die zwar nicht die Politik, aber die Kultur und mit ihr vor allem das Theater erschüttern und entscheidend verändern wird.
(Quelle: 3sat Programm)