Interview zum Volksbühnen-Film - "Es besteht die Gefahr, dass man dem Haus etwas überstülpt" Die Volksbühne war mal das "Theater für alle zu erschwinglichen Preisen". Heute ist sie umzingelt von Mitte-Hippstern. Filmemacher Lutz Pehnert hat eine Doku über die Geheimnisse des Hauses gemacht. Er sagt, nicht die hippen Typen bringen es in Gefahr. rbb|24: Herr Pehnert, wenn man die Volksbühne anheben und woanders neu platzieren könnte, wo sollte sie dann Ihrer Meinung nach ihren Standort haben? Lutz Pehnert: Eigentlich würde ich sie dort stehen lassen, wo sie ist. Denn da hat sie vor 113 Jahren ihren Platz gefunden. Wenn ich müsste, würde ich sie austauschen gegen die Schloss-Kopie. Weil Originale immer besser sind als Kopien. Ursprünglich gebaut war die Volksbühne für die einfache Arbeiterschaft. In der unmittelbaren Nachbarschaft lebte das so genannte Lumpenproletariat. Heute ist das Haus umzingelt von Hippstern. Gilt "Die Kunst dem Volke" auch für die jetzigen Anwohner? "Die Kunst dem Volke" war natürlich eine Ansage Ende des 19. Jahrhunderts - als die Gesellschaft noch wesentlich ungleicher gestaltet war. Ein paar Sozialdemokraten, die schon besseres Tuch trugen, dachten, dass die Arbeiter auch mal ins Theater gehen sollten. Was ihnen damals nicht wirklich beschieden war. Zum einen wegen der prekären Lebensverhältnisse und zum anderen, weil es viel zu teuer war für sie. Hinzu kam, dass eine neue Dramatik Fuß fasste, die sich mit sozialen Themen beschäftigte. Diese Stücke waren bei der preußischen Zensur auch nicht gelitten. In der Premiere von Gerhard Hauptmanns "Weber" am Deutschen Theater saß der Kaiser - und kündigte danach sein Abo. Insofern gab es das Bedürfnis, Theater nicht nur für die Besserverdienenden zu machen, sondern sozusagen auch als Mittel zur Gesellschaftlichen Veränderung. Zu zeigen, dass das Theater auch eine Stimme hat und diese an das Volk weiter gereicht wird. Heute ist das alles ein bisschen anders. "Die Kunst dem Volke" steht ja auch nicht mehr drüber. Und wenn man vergleicht, dass heute die Karte für ein Depeche-Mode-Konzert über 90 Euro kostet – und das Olympiastadion trotzdem krachend voll ist – hat man heute zumindest die finanziellen Mittel und kann sich Kultur leisten. Da ist so ein "Faust" von sieben Stunden doch nur halb so teuer. Jeder, der will, kann heute eigentlich ins Theater gehen. Im Fernsehen findet Ihr Film über die Volksbühne ja unter "Geheimnisvolle Orte" statt. Wie kann ein so öffentlicher Ort wie ein Theater denn ein geheimnisvoll sein? Es gibt natürlich Räume in diesem Haus, die niemand kennt. Vielleicht zeigen wir auch zwei oder drei davon. Aber letztendlich unterscheidet sich dieses Theater nicht so sehr von anderen Theatern. Es gibt die Schneiderei, die Maskenabteilung, den Probenraum und die Kantine – die ist allerdings woanders, weil sie noch so einen urigen Charme hat… Das eigentliche Geheimnis, oder das, was man gar nicht so genau weiß, ist tatsächlich die Geschichte des Hauses. Und da werden vielleicht Sachen erzählt, die selbst die treuen Besucher gar nicht so kennen. Sie haben gerade die Kantine angesprochen. Sie gilt ja als Kult-Ort. Von hier aus soll zu Mauerfallzeiten auch der eine oder andere Impuls ausgegangen sein… Ja. Im Herbst '89 brodelte es ja in der DDR. Gerade am 7. Oktober, dem 40. Jahrestag, kam es zu Auseinandersetzungen in verschiedenen Städten und Orten. So auch in Berlin. Am Abend des 7. Oktobers saßen - wie so oft - Bühnenarbeiter und auch Schauspieler in der Kantine und sagten 'Jetzt müssen wir aber irgendwie mal was machen und reagieren'. Und das war der Ursprungsgedanke: auf die Straße zu gehen, sich zu zeigen und eine Demonstration oder Kundgebung zu machen. Das führte dann zu dieser großen Versammlung von Berliner Theatermachern im Deutschen Theater und letztendlich auch zur Demonstration am 4. November 1989 am Alexanderplatz. Im Vorfeld war die Volksbühne auch eine Art Stützpunkt der Vorbereitungen. In den Werkstätten, die in Pankow liegen, wurden auch viele Plakate angefertigt. Ein anderes Geheimnis oder zumindest eine Art Mythos ist ja das Gerücht, dass die Volksbühne nach dem Krieg mit Material aus Hitlers Reichskanzlei wieder aufgebaut wurde. Ist da was dran? Das wird gerne behauptet und kolportiert. Achim Busch - ein ehemaliger Bühnen-Meister der Volksbühne, der heute auch noch Besucher durch das Haus führt und der eigentlich das Wissen und Gewissen des Gebäudes ist – sagt, es ist nie bewiesen worden. Wir sagen, es ist nicht bestätigt worden. Man hat allerdings immer dort, wo in der DDR Marmor verbaut wurde, gesagt, dieser sei aus der Reichskanzlei. Und so groß kann die Reichskanzlei auch wieder nicht gewesen sein, würde ich sagen. Jetzt ändert sich vieles. Frank Castorf geht, Chris Dercon kommt. Jüngst wurde das OST-Zeichen über der Volksbühne abgehängt. Wie wichtig war die Ost-Identität für die Castorf-Jahre? Ich würde mich gar nicht einmischen wollen in die Debatten um die Zukunft des Hauses. Aber er kann dann eine Gefahr werden, wenn er es nicht schafft, die Volksbühne zu einem Ereignis zu machen. Es besteht die Gefahr, dass man dem Haus etwas überstülpt, was gar nicht zu ihm passt. Das wird sich erst im Herbst zeigen. Dercon eröffnet ja erst einmal in Tempelhof und lässt die Volksbühne links liegen – obwohl sie ja der Zankapfel des Streits war. Aber wenn eine Stadt eben einen Tim Renner als Staatssekretär hat, muss man sich nicht wundern, wenn er Vorschläge macht, die mit der Geschichte des Hauses nichts zu tun haben. Letztendlich ist dann die Stadt auch in der Verantwortung, wenn sie Konzeptionen leichtfertig abnickt. Man weiß ja auch überhaupt nicht, wie oft jetzt der neue Bürgermeister überhaupt schon in der Volksbühne zugegen war. Wenn das Kind dann in den Brunnen gefallen ist, wird es schwer, es wieder rauszuziehen. Es gibt ja anscheinend ein großes Bedürfnis der Berliner nach der Volksbühne unter Castorf. Für Karten für die letzten noch laufenden Stücke werden im Internet Höchstpreise aufgerufen. Die Idee der Bühne war ja zu Beginn Theater für alle zu erschwinglichen Preisen. Wer dreht sich jetzt im Grab um? Niemand dreht sich im Grab um. Schon als der Mai-Spielplan veröffentlicht wurde und man die Karten buchen konnte, brach nach ein paar Minuten der Volksbühnen-Server zusammen. Es gibt jetzt gerade in der Endphase noch einmal ein großes Bedürfnis, die eine oder andere Castorf-Inszenierung mitzuerleben. Und da entstehen wie beim Pop-Konzert – wenn es mehr Bedarf gibt als Karten - Internetbörsen. Das spricht aber letztendlich nicht nur dafür, dass es eine Abschiedsstimmung gibt, sondern dass die Menschen etwas sehen wollen, was man dann nicht mehr erleben kann. Das Interview führte Sabine Prieß
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