"Warten Auf Godot …und das Missverständnis des Absurden Theaters" ist eine Dokumentation von Birgit Adler-Conrad, aus dem Jahr 2009 mit Ausschnitten aus der Produktion "Warten auf Godot" im Schillertheater Berlin (1976, Regie Samuel Beckett).
Über 40 Jahre lang galt Samuel Becketts 1953 uraufgeführtes Theaterstück "Warten auf Godot" als Klassiker des absurden Theaters. Das Stück spielt irgendwo und nirgendwo, in einem absurden Raum, im zeitlosen Nichts. Die beiden Protagonisten Vladimir und Estragon stehen für die Menschheit schlechthin - so dachte man bisher. Nahezu allen Interpretationen liegt diese absurd methaphysische Lesart zugrunde. Der neunzigjährige französische Theaterhistoriker Valentin Temkine aus Paris widerspricht jetzt entschieden diesen Interpretationen. Über 45 Jahre lang hat er sich unzählige Theaterinszenierungen angeschaut, bis er schlagartig erkannte, dass "Warten auf Godot" tatsächliche Erlebnisse thematisiert.
Er findet im Stück zahlreiche Hinweise auf eine ganz konkrete historische Situation. Demnach erzählt Godot die wahre Geschichte zweier Juden, die sich in Paris der Résistance angeschlossen hatten und 1942/43 nach Südfrankreich geflohen waren. Als die Nazis weiter ins unbesetzte Frankreich vordrangen, blieb ihnen als letzter Ausweg nur die Flucht über die französischen Alpen nach Italien. Die Akteure warten, so die Interpretationen Valentin Temikines, auf einen Schleuser, der im Stück "Godot" genannt wird. Der Historiker entdeckt zahlreiche Zeit- und Ortsangaben sowie präzise Formulierungen, die ganz direkt auf die Judenverfolgung und Auschwitz bezogen sind. Hinzu kommen Parallelen zur Biografie Samuel Becketts, der ebenfalls Résistance-Kämpfer war und in jener Zeit nach Südfrankreich geflohen ist. Beckett soll Brecht auf die Frage, wo denn die beiden Protagonisten des Stücks Vladimir und Estragon im Zweiten Weltkrieg gewesen seien, geantwortet haben: "In der Résistance". Zusammen mit seinem Enkel Pierre hat Valentin Temkine kürzlich das Buch "Warten auf Godot - das Absurde und die Geschichte" herausgegeben. Der Film dokumentiert die Thesen des Historikers und seines Enkels in Form von Interviews und Stückausschnitten. Hinzu kommen historische Quellen über die Biografie Becketts und die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte von "Warten auf Godot".
Letztendlich geht es im Film um die Frage nach dem Zusammenhang von realhistorischem Hintergrund und existentiell absurder Überhöhung des Erlebnisses von Flucht und Identitätsverlust.
[msb] ZDF Theater