Jule Flierl: Operation Orpheus "Operation Orpheus" ist vokaler Voodoo. Eine anachronistische Arie. In einem Drama, das sich durch die Jahrhunderte windet, werden die Organe des kulturellen Gedächtnisses und der Leib einer Oper seziert. "Operation Orpheus" ist ein Ritual, in dem die Vorfahren der (europäischen) Theatergeschichte angerufen werden. Es ist ein Ritual, in dem das kulturelle Erbe aufgegriffen und umgeformt wird, um es schlussendlich überwinden zu können. "Operation Orpheus" untersucht die Materialität der Arie "Che faro senza Euridice" in Beziehung zur stummen Semiotik des romantischen Balletts. Die Arie stammt aus der Oper "Orfeo ed Euridyce" von C.W. Gluck, die 1762 zur Premiere kam. "Operation Orpheus" arbeitet mit Referenzen, die ziemlich außerhalb des Zeitgeschmacks sind, aber auf eine zeitgenössische Art bearbeitet werden. Ein Remix von Körperkonventionen, die gesampelt und ihrer Autorität beraubt werden. Die klassischen Gesten werden mit dem Text der Arie synchronisiert. Sie verweisen auf die romantische Epoche, als Gestik die stumme Sprache der Tänzer*innen war. Nur durch dieses System der gestischen Semiotik konnte der Tanz sich vom leichten Zwischenspiel in der Oper als eigenständige Kunstform etablieren und einen souveränen Status erlangen. In "Operation Orpheus" treffen zwei Sprachen aufeinander, die in der Hierarchie des westlichen Theaters lange als Rivalen fungierten: Klassischer Gesang und die gestische Sprache des klassischen Balletts strömen aus demselben Körper. "Operation Orpheus" ist eine Operation, gerade weil es um den sezierten Körper der Arie geht; ihre zerteilten und wieder zusammengesetzten Teile. Die Fragmentierung der Arie stellt das Erhabene der Oper in Frage, erlaubt einen Blick In die Einzelheiten des Tanzes und der Musik, ohne sich in deren Traurigkeit, Sehnsucht oder Geschichte zu verlieren. Die choreografische Struktur zerlegt den Gesang in Worte, Melodie, Erzählung, Emotionen und Gesten; die wiederholt, verlangsamt und beschleunigt werden; zwischen denen Lücken und Stille entsteht; deren Lautstärke variiert und die sich zwischen Fluss und Stagnation bewegen. Wie im Filmschnitt werden Bild und Ton der Performance als unabhängig voneinander behauptet: tänzerische Gesten und sängerische Phrasen werden synchronisiert, verschoben und voneinander losgelöst. Der Körper, der sich in klassischen Inszenierungen als organisch und wahrhaft darbietet, wird durch dieses Auseinanderpflücken zu einem komplexen Geschöpf, das nicht ohne weiteres mit sich selbst identisch ist. ENGLISH: "Operation Orpheus" is Vocal Voodoo. An anachronistic aria. A drama that loops itself through history, dissecting the organs of cultural memory and the body of an opera. "Operation Orpheus" is a ritual in which the ancestors of European theater history are evoked. Cultural heritage gets incorporated and transforms in order to finally overcome it. "Operation Orpheus" explores the materiality of the early romantic aria "Che farò senza Euridice" in relation to silent gestural semiotics from romantic ballet. "Che farò senza Euridice" by C.W. Gluck is taken from the opera "Orfeo ed Euridice" and premiered in 1762. "Operation Orpheus" takes references that are quite outside contemporary taste and re-works them in a contemporary way. Body conventions are remixed, sampled and deprived of their authority. In the performance, classical gestures are synchronized with the lyrics of the aria. They point towards the romantic period, when gestures were the mute language of dancers. Only through this system of gestural semiotics could dance emancipate itself from its role as light divertissement and establish the status of a sovereign form of art. Classical ballet and classical singing, two different languages that have competed for a long time in the hierarchy of western theatre tradition, meet here in one body. The project is called "Operation Orpheus" precisely because it is about dissecting the aria's body, having a look at the pieces and placing them back together again. The fragmentation of the aria breaks down the sublime, rendering the details of the work more clear and casting off the overtones of sadness and longing that are otherwise inherent to the songs' narrative. Chanting becomes partitioned into words, melody, narration, emotion and gesture that slow down, speed up, leave gaps, get stuck and flow again. The choreography handles visual and sonic material separately, leaving them inorganically disconnected, like when editing a film. The body no longer represents itself as organic or truthful, but becomes a complex being that cannot be identical with itself. Konzept, Choreografie, Performance: Jule Flierl Produktionsleitung: David Eckelmann Kostüm: Dorothée Henon Unterstützt durch: Exerce Montpellier, LaPanacée Montpellier, Kunsthaus KuLe Berlin Dank an: Adaline Anobile, Sorour Darabi, Julie Gouju, Anne Kerzerho, Loic Touzé, Zoë Knights [msb]
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