Trotz ihrer besinnlichen Momente will die Inszenierung den Zuschauer überwältigen. Choreograph Joseph Tmim hat sich kein Schweigegelübde auferlegt. Die Stille erzeugt eine Beredsamkeit der Körper, die bisweilen in eine Geschwätzigkeit umschlägt. Erzählt wird vornehmlich von inneren Regungen, die sich der Verkörperung entziehen. Zwischen Verstummen und regelrechter Ausdruckswut siedeln sich die Tänze an. Der Beginn kündet von einer Affinität von Musik und Tanz. Anti von Klewitz hält den blonden Dan Pelleg mit Geige und Bogen umfangen, Instrument und Tänzer verschmelzen zu einem Klangkörper. Von musikalisch-tänzerischen Resonanzen handeln die gelungensten Szenen des Abends. In den Gruppensequenzen pflanzt sich die Energie in raumgreifenden Schwüngen fort. Die Duos, Trios und Quartette münden in Umschlingungen .Der Partnerwechsel gestaltet sich geschmeidig. Doch die Tänzer agieren nicht als erotische Vorturner. Untergründig ist die neue Produktion des Israeli Tmim eine Auseinandersetzung mit der deutschen Wahlheimat und seinen jüdischen Wurzeln. Erfahrungen des Fremdseins schreiben sich als Selbstentfremdung in die Körper ein. Das Stück gestaltet sich als eine Suche nach den Müttern. Jiddische Lieder und Zigeunerweisen pumpen Emotionalität in den Tanz. Die beiden Frauen stellen keine erotische Herausforderung dar. Wenn sie den vier Tänzern die Hosen ausziehen, dann tun sie dies wie Ammen. Tmim schickt die Männer auf einen Selbsterfahrungstrip. (Quelle: Tagesspiegel vom 15.12.1997)
Aufzeichnung der Uraufführung.
CHOREOGRAPHIE: Joseph Tmim
CHOREOGRAPHIEASSISTENZ: Einat Tuchmann
TANZ: Antoine Lubach, Dan Pelleg, Liat Shinar, Mirjam Ter Linden, Marko E. Weigert, Jorge Morro
LICHT/RAUM: Fred Pommerehn, Klaus Dust
MUSIK COLLAGEN: Peter Corsten
VIOLINE/VIOLA/STIMME: Anti von Klewitz
KOSTÜME: Cornelia Kraske
Aufzeichnung vom 26.10.97, im Theater am Halleschen Ufer, innerhalb der TanzZeit '97
Ebenfalls verfügbar: zwei Aufzeichnungen des Work-in-progress (vom 24. und vom 26.10.97).
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Tagesspiegel vom 15.12.1997