Mein Körper ist der Ort, von dem es kein Entrinnen gibt, an den ich verdammt bin. Ich glaube, alle Utopien sind letztlich gegen ihn geschaffen worden, um ihn zum Verschwinden zu bringen. Der Körper ist der Nullpunkt der Welt, der Ort, an dem Wege und Räume sich kreuzen. Der Körper selbst ist nirgendwo. Er ist der kleine utopische Kern im Mittelpunkt der Welt, von dem ich ausgehe, von dem aus ich träume, spreche, fantasiere, die Dinge an ihrem Ort wahrnehme und auch durch die grenzenlose Macht der von mir erdachten Utopien negiere. Mein Körper gleicht dem Sonnenstaat. Er hat keinen Ort, aber von ihm gehen alle möglichen realen und utopischen Orte wie Strahlen aus.
(Michel Foucault, Die Heterotopien. Der utopische Körper. Zwei Radiobeiträge, Berlin 2013)
Was geschieht, wenn sich zwei Performer ausschließlich auf ihr jeweiliges Körperwissen zurückziehen? Welche Ebenen von Kommunikation können zwischen Körper und Körper auf einer Bühne entstehen? Ein solches Experiment ist nur zu wagen mit Tänzern, die in ihren Arbeiten diese Möglichkeit einer radikalen körperlichen Auseinandersetzung zulassen können. Deswegen setzt das Konzept dieser Produktion unmissverständlich auf zwei Tänzer, die aus zwei sehr unterschiedlichen, jedoch hochentwickelten Bewegungstraditionen kommen. Susanne Linke verkörpert wie keine andere Performerin das Wissen des modernen Tanzes in Deutschland, von Mary Wigman über Folkwang bis zum Tanztheater. Und Koffi Kôkô schöpft aus einer hochentwickelten jahrhundertealten Tradition von Übergangsritualen der westafrikanischen Kultur. Beide agieren mit ihren Körpern als einer jeweils einzigartigen Wissensbibliothek. Und beide sind Ausnahmetänzer, die in ihren Choreographien ihre Biografien, ihre gesellschaftspolitischen, kulturellen oder geistigen Traditionen verarbeitet haben.
Wie behaupten sie mit ihrer Technik, ihrem Wissen, ihrem Verständnis von Raum, von Energie, von Kraft, von Geschlecht, von Materie und Transzendenz einen offenen Dialog, der den Körper ins Zentrum stellt? In diesem Spannungsfeld zwischen Erinnerung und Begegnung entfaltet sich das Tanzstück. Beide Tänzerchoreographen kennen sich seit vielen Jahren und wissen gegenseitig um ihre tänzerische und choreographische Arbeit. Beide bekennen sich zu einer abstrakten Bewegungssprache als Basis tänzerischer Kommunikation. Dabei geht es auch um das Geheimnis der Bühnenpräsenz. Wie kann ein Tänzer das maximale Bewusstsein seines Körpers entwickeln, um im Dialog mit dem Raum das Unsichtbare sichtbar zu machen. Wie entsteht Ausdruck auf einer Bühne, in der die Erinnerungen des Körpers, die seelischen und emotionalen Dimensionen eines Performers, Gestalt finden? Wie entwickelt der Tänzer seine Aura, durch die er mit dem Raum, mit dem Bühnenpartner und dem Publikum kommuniziert?
Im Frühjahr des Jahres 2013 trafen sich Susanne Linke und Koffi Kôkô im Café Mistral am Théâtre de la Ville im Zentrum von Paris, um über eine mögliche Kooperation zu sprechen. Von Tänzer zu Tänzer, von Körper zu Körper, wollten Sie einen Dialog beginnen, der die geistige und emotionale Dimension von zeitgenössischer Bewegung systematisch untersucht und das Wissen ihrer jeweiligen Ausbildungen und Kommunikationsformen zusammenführt. Tänzerische Präsenz, Körpergedächtnis, Technik, kultureller Kontext und Geschlecht werden zu Ausgangspunkten einer einzigartigen Begegnung von performativem Wissen und gesellschaftspolitischen Fragen.
In der Performancekunst oder dem Tanz schauen wir im Rückblick auf das 20. Jahrhundert auf eine Körpergeschichte der Moderne. Der Körper als Widerstand gegen gesellschaftliche Normen, als Medium der Erinnerung, als Rebellion gegen Vergessen und Unterdrückung, als Möglichkeit der Grenzüberschreitung. Der Butoh in Japan, das Tanztheater in Deutschland oder der zeitgenössische Tanz in Afrika erzählen diese Geschichten ebenso wie die Performancekunst. Zugleich ist der Körper wie nie zuvor der Virtualisierung und der künstlichen Reproduktion ausgesetzt. In den sozialen Netzwerken, in der Erschaffung von neuen lebendigen Kunstwelten oder der Reproduktionsmedizin wirkt die Behauptung des Körpers als Wirklichkeit der Begegnung überholt. Der Tänzer mit seinem Körper auf der Bühne oder der politische Aktivist mit seinem Widerstand auf der Straße erscheinen als archaische Behauptungen von Existenz oder hoffnungslose Nostalgie. Dennoch sind es gerade die Menschen mit ihren Körpern, mit ihrer Präsenz, die gesellschaftliche und individuelle Veränderung auslösen.
Johannes Odenthal, Programmbeauftragter der Akademie der Künste
[Quelle: Abendzettel]
jup
Susanne Linke, Koffi Kôkô