Wer oder was gibt in deinem Leben den Takt vor? Wer entscheidet, wie lange du arbeitest, wie oft du deine E-Mails checkst oder wann du ein Kind bekommst? Hängt alles ganz allein von deinen Wünschen ab, von technischen Geräten und Zeitmessern, den Erwartungen Anderer, dem Weltwirtschaftsklima? Zeitvorstellungen und Rhythmen sind ein allgegenwärtiges Phänomen, das suggestiv wirkt, ohne wirklich bemerkt zu werden. Rhythmus ' das ist das, wo einfach jeder mit muss, wie es so schön heißt. Man muss aber nicht mit, sagt die Choreographin und Tänzerin Anna Melnikova.
Seit langem beschäftigt sie sich in ihrem choreographischen Rechercheprojekt INTAKT mit dem Verhältnis des Individuums zu den permanent vorgeschlagenen Tempi. Metropolenerprobt (und damit ist nicht das gemütliche Berlin gemeint, sondern Moskau, die Hauptstadt der rasenden Rolltreppen), fragt die Choreographin, wie verschiedene Rhythmen nebeneinander und gemeinsam funktionieren können. Sie sucht den Dialog mit anderen Künstlern, auch verschiedener Sparten und Genres. Im gemeinsamen Probenprozess und in der Begegnung mit den fremden Rhythmen der Anderen kann sich der eigene Umgang mit Zeit verändern, durchsetzen, überhaupt bewusst oder trotz allem beibehalten werden.
Für INTAKT#3 arbeitet Anna Melnikova erstmals mit der Dichterin und Poesieperfomerin Cia Rinne sowie dem Komponisten und Soundperformer Marcus Thomas zusammen, die wie sie selbst sowohl Autoren als auch Interpreten ihrer eigenen Arbeiten sind. Als eigenständige Künstler haben sie ihre Stimme und ihren Rhythmus ausgeprägt. Im INTAKT sind ein Chor aus drei Solisten. Sie infizieren einander mit ihren Rhythmen, suggerieren, kopieren, synchronisieren sich, weichen ab, führen an und folgen nach.
INTAKT#3 erzählt nicht und doch sehr viel. Es ist ein Frage- und Antwortspiel, in dem Themen konkret werden und sich wieder auflösen. Es ist ein Spielfeld für berauschende Virtuosität und souveränen Dilettantismus: die Sprecherin singt, der Musiker tanzt, die Tänzerin spricht... Für suggestive Experimente mit drei Charakteren und ihrer temporären Gleichschaltung. Eine Komposition für Räume, Körper, Stimmen, Sprachen, Worte, Materialien, Instrumente, Geräte, Regeln und Regelbrüche.
Text: Anna Volkland
Anna Melnikova (Choreographie, Tanz), geboren in Russland, erhielt ihre Tanzausbildung in Moskau und absolvierte ein Choreographie-Studium an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" in Berlin. Ihre choreographischen Arbeiten wurden zu zahlreichen Festivals und Wettbewerben (u.a. Monaco, Italien, Estland, Deutschland, Russland und Weißrussland) eingeladen. Von 2006 bis 2013 wirkte sie als künstlerische Mitarbeiterin in fünf Produktionen des französischen Regisseurs und Choreographen Laurent Chétouane mit. Als Tänzerin und Choreographin wurde sie im TANZ JAHRBUCH 2013 zu einer der internationalen HoffnungsträgerInnen gewählt: 31 Tanzkünstler, die hoffentlich die Zukunft bewegen werden.
Marcus Thomas (Klangkomposition, Performance), geboren in Riesa, Sachsen, Studium der Kultur- & Musikwissenschaften mit anschließender Vertiefung im Fach Sound Studies. Der experimentelle, kreative Umgang mit Klang und Raum und die Suche nach neuen Geräuschen und Möglichkeiten der Klangerzeugung sind stets Kern seiner Arbeiten. Eigene künstlerische Arbeiten reichen dabei u.a. von Klang-installationen, Konzerten für präparierte Instrumente, Soundscape-Kompositionen, über künstlerische Radio-Features und Hörspiele. Er arbeitet als Musiker/Performer/Komponist und Klangkünstler für diverse Film-/ Theater- und Opernprojekte. Realisation eigener Regiearbeiten u.a. im Musiktheater-Kollektiv bruit!. Deren Produktion, "es glaubt es rauscht", gewann den Jury-Preis beim 100ð Festival 2012 im HAU Berlin.
Cia Rinne (Poesie, Performance), geboren in Göteborg, Studium der Philosophie, Geschichte und Sprachen in Frankfurt, Helsinki und Athen, lebt als Autorin und Künstlerin in Berlin. Zu ihren Veröffentlichungen gehören zaroum (2001), archives zaroum (2008), notes for soloists (2011), und sounds for soloists (2012). Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien in Nordeuropa, Frankreich und den USA. 2010 wurde sie mit dem Preis für experimentelle Literatur Bukdahls Bet ausgezeichnet. Ausstellungen u.a. auf der Turku Biennale, im Grimmuseum Berlin, Signal in Malmö und auf der Print Triennale in Tallinn.
[Quelle: Abendzettel]
frm
Anna Melnikova (Choreographie, Performance), Marcus Thomas (Klangkomposition, Performance), Cia Rinne (Poesie, Performance)