Karl und Franz sind Brüder. Franz, der jüngere, hasst Karl. Er neidet ihm das Erbe, das dem Erstgeborenen zusteht, neidet ihm die Liebe des Vaters, die alles verzeiht. Franz, der alles entbehrt, will Herr sein. Das „Böse“ zu wollen heißt sich Karls Welt gewaltsam anzueignen. Und es gelingt ihm, das Band zwischen dem Vater und Karl zu zerschneiden.
Der alte Moor droht darüber zu sterben ' Karl wird zum Räuber. Die Schauspieler betreten die leere Bühne, kommen an die Rampe, beginnen Schillers Text zu sprechen, und zwar im Chor. Die gedrechselten Worte kommen abwechselnd als Kanon, als Hip-Hop-artiger Sprechgesang oder rhythmisches Geschrei. Zwei Brüder, ein Problem. Franz Moor ist der ungeliebte Nachgeborene und gekränkte Narziss, für den die eigene Freiheit dort beginnt, wo er andere in den Tod treibt.
In Karl kann man eine Lichtgestalt und einen hedonistischen Helden sehen, der sich während des Studiums der erdrückenden Vaterliebe entledigt und zum räuberischen Freiheitskämpfer wird. Dass Karl und Franz in Wirklichkeit zwei Seiten einer Medaille sind und unter Freiheit immer nur die eigene verstehen, zeigt Nicolas Stemann, der Schillers "Räuber" als Männerrudel inszeniert und eine vierstimmige Brüderhydra auf die Piste schickt, die den Text als orchestrales Sprachwerk zelebriert. Als Franz ist das Rudel verklemmt scharf auf Amalia. Dann verwandelt es sich in Karl, spielt im schnellen Wechsel aber auch Spiegelberg, Schufterle und die anderen Randalierer im böhmischen Wald.
Das funktioniert derart elegant, dass aus Schillers Bruderpaar ein einziger Franzkarl und aus den "Räubern" ein Sprechkunstwerk wird.
Die Theatertreffen-Jury hat die Inszenierung von Nicolas Stemann unter die zehn bemerkenswertesten deutschsprachigen Inszenierungen gewählt und zum diesjährigen Theatertreffen Berlin geladen. Aufzeichnung einer Aufführung des Thalia Theater, Hamburg/Salzburger Festspiele beim Theatertreffen Berlin
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