Choreographie: Rudolph Nurejew, Regie: Catherine Dupuis mit der Compagnie Ballet de l'Opéra de Paris. "Nurejews prunkvolles Vermächtnis. «La Bayadère» in der Opéra Bastille.
Als Rudolf Nurejew im Jahre 1961 mit 23 Jahren erstmals nach Paris kommt, tanzt er dort auf der Bühne des Palais Garnier unter anderem den „Schattenakt“ der Bajadere. 31 Jahre später, im Oktober 1992, findet am selben Ort die Uraufführung von Nurejews Bajadere statt, die letzte Choreographie des russischen Tänzers vor dessen frühzeitigem Tod am 6. Januar 1993. Welch ein Vermächtnis! Diese Bajadere, in der Nurejew zu den Quellen von Petipas Originalversion zurückkehrt, ist eine seiner gelungensten Choreographien. Alles passt zusammen in diesem exotisch-romantischen Märchen: das beeindruckende Dekor von Ezio Frigerio, das nicht an Accessoires bis hin zum falschen Elefanten spart, die raffinierten und farbenprächtigen seidenen Kostüme von Franca Squarciapino und die große Zahl an bunt durcheinander gemischten Personen: Priester, Bajaderen, Volkstänzer, Krieger, Kurtisanen, Sklaven, Schatten. Um zu verhindern, dass der klassische Tanz unter der Exotik und Bedeutung der Pantomime in den ersten beiden Akten leidet, fügte Petipa – ähnlich wie beispielsweise in Don Quichotte – einen Schattenakt der reinsten klassischen Tradition ein, in dem Solor, der Krieger, der seine geliebte Bajadere verrät, um Gamzatti, die Tochter des Rajahs, zu heiraten, die tote Verlassene im Traum wieder findet. Nurejew verzichtet hingegen auf den ursprünglich geplanten Vierten Akt, in dem die Götter aus Zorn über den von Gamzatti verursachten Tod der Bajadere, der Solor beim heiligen Feuer des Tempels Treue geschworen hat, den Tempel über Gamzatti und Solor einstürzen lassen. Die Rolle der Bajadere Nikiya wurde an diesem Abend von Isabelle Ciaravola getanzt, einer Solistin, die erst wenige Tage zuvor ihr Rollendebüt gegeben hatte und kurzfristig für die verletzte Clairemarie Osta einsprang. Ciaravola war eine Nikiya von hohem künstlerischen und technischen Niveau: ihre Bajadere, endlos langarmig und -beinig, ist ein Opfer der Intrigen um sie herum, fragil und hilflos gegenüber der gnadenlosen Gamzatti Melanie Hurel. Ihre Liebe zu Solor ist bedingungslos, und so drückt ihre Schlangenvariation eher völlige Verzweiflung als Vorwurf gegenüber Solor aus. Im dritten Akt, in dem sie als Schatten durch ihre Grazie und Leichtigkeit besticht, ist ihre Vergebung schnell und vollkommen, und ihr Glück über die Vereinigung mit Solor mischt sich mit der Freude über ein gelungenes Rollendebüt. Benjamin Pech porträtiert den heroischen Krieger an ihrer Seite als zweideutigeren Charakter. Obwohl er erst vor wenigen Monaten auf einer Chinatournee zum Danseur Etoile nominiert wurde, ist er bereits ein erfahrener Solor. Dem entsprechend zeigt er sich als sicherer und aufmerksamer Partner und tanzt seine Variationen mit technischer Souveränität. Im ersten Akt gibt er einen Krieger voller Selbstsicherheit, der sich wenig von der Autorität des Rajah beeindrucken lässt und dessen Tochter mit Eiseskälte empfängt. Doch schon im zweiten Akt scheint er sich bei seiner Hochzeit völlig in seine neue Rolle als Schwiegersohn des Rajahs gefunden zu haben, und so stürzt ihn das Auftauchen Nikiyas in völlige Verwirrung. Bemerkenswert ist der Moment kurz vor Nikiyas Tod, in dem Solor sich mit schmerzverzerrtem Gesicht von ihr abwendet – ein Augenblick von hoher dramatischer Intensität, in dem Benjamin Pech einmal mehr sein außergewöhnliches schauspielerisches Talent beweist. Melanie Hurel gibt eine Gamzatti von undurchdringlicher Härte, die eher ihr Stolz als ihre Liebe zu Solor gegen Nikiya aufbringt. Obwohl sie die überaus schwierigen Variationen der Gamzatti korrekt tanzt, fehlt es ihr noch etwas an Bühnenpräsenz, um ein überzeugendes Gegengewicht zu Nikiyas und Solors Liebe darzustellen. In den Nebenrollen fielen in den ersten beiden Akten besonders Laura Hecquet im temporeichen indischen Tanz sowie Yann Bridard als Sklave und Sabrina Mallem im Pas dÂ’action des 2. Aktes auf. Das Corps de Ballet zeigte sich sowohl in den zahlreichen Volkstänzen im ersten und zweiten Akt als auch vor allem beim berühmten Auftauchen der Schatten im dritten Akt in großer Form. In den Variationen der drei Schatten brillierte vor allem Fanny Fiat als letzter Schatten durch ihre Leichtigkeit und Musikalität. Eine besondere Erwähnung verdient auch Pavel Sorokin, Gastdirigent vom Bolschoitheater, dem es gelang, dem Orchester eine musikalische Begleitung von ungewöhnlicher Qualität zu entlocken. So fügte sich das Ganze – trotz der Stilmischungen in Ludwig MinkusÂ’ Musik und in der Choreographie – zu einem gelungenen und harmonischen Gesamtwerk, das auch 129 Jahre nach der Uraufführung in Petipas Originalversion nichts von seiner fremdländischen Faszination verloren hat. (Quelle: Julia Bührle, www.tanznetz.de) Aufzeichnung nicht ganz vollständig erste und letzte Minuten fehlen.
Isabelle Ciaravola, Melanie Hurel, Benjamin Pech, Isabelle Guerin, Laura Hecquet, Clairemarie Osta, Monique Loudieres, Elisabeth Maurin, Elisabeth Platel, Laurent Hilaire, Manuel Legris, Yann Bridard, Karen Averty, Fanny Gaida, Clothilde Vayer, Sabrina Mallem