1. Telejournal Reportage - 12.02. 1986.
2. Aufführung.
LOCOMOTION ist eine Montage für drei Musiker und einen Tänzer. Der Tänzer ist das vierte, das optische Instrument, das durch seine Bewegungslinien eine Kongruenz zu den Melodielinien herstellt. Die Bewegungslinien sind also in ihrem Abstraktionsniveau der Musik kongruent, wobei über die musikalischen Themen mit dem ausgewählten Bewegungsmaterial improvisiert wird. Das stellt ein Novum dar, denn das Improvisieren der Tänzer oder der Musiker ist normalerweise im Bühnentanz noch unüblich, allzumal dort, wo in seinem Eigenverständnis der eurpäische Kunsttanz die Musik zu einer Illustration der angestrebten Aussage umformt. LOCOMOTION ist ein Dialog von Musik und Tanz. Ein Spiel mit der Rhytmik, bei dem durch Überlagerung mehrerer monometrischer Rhytmen, (z.B. 2/4 und 3/4), die aus der afrikanischen Musik stammende Polymetrik, die in der Jazz-Musik ja niveliert wurde, durch das akustische und optische Instrumentarium wiedererweckt wird. Dieser Polymetrik der Musik entspricht die Polyzentrik der Bewegung: der Körper bewegt sich gleichzeitig aus den unterschiedlichen Zentren heraus, z.B. gleichzeitig aus den Schultern und dem Becken. diese Polyzentrik ist das eigentliche Kriterium des jazz-dance, wobei es für das Tennen von bewegten Zentren und Körperteilen eine ausgefeilte Isolationstechnik gibt. Diese Isolation ist in ihrem Extremfall ein Fixieren von Körperzentren im Raum: Schultern und Arme stehen an einem Punkt fest, während Becken und Beine sich darunter bewegen. Solche Bilder gibt es in faszinierender Andeutung beim Stepp-Tanz, beim Spanischen Tanz. In LOCOMOTION haben wir die von der Pantomime herkommende Ausprägung, daß in einem bewegten Tanz Teile des Körpers in Ruhe verharren, die keine Verbindung zum Boden haben...Kulmination der engen Verbindung von Musik und Bewegung ist die Zuordnung von Instrumenten und Bewegungszentren, so daß z.B. die Arme mit dem einen, die Beine mit dem anderen Instrument korrespondieren und dabei deren unterschiedliche Rhytmen aufnehmen. Dieses Zuordnen kommt aus dem afrikanischen Tanz und stellt eine direkte Art des Dialogs dar.
LOCOMOTION ist ein freies Verarbeiten verschiedener Stile: Klassischer Tanz, Rock, Spanish... Dennoch sind Bewegungsvokabular und Bewegungsprinzipien hauptsächlich dem jazz-dance und der Pantomime entlehnt. Beide Techniken stehen in einer interessanten Spannung zueinander, arbeiten mit den zum Teil gleichen Mitteln, dies aber zu verschiedenen Zwecken und mit unterschiedlichen Konsequenzen. Der Pantomime stellt Dinge dar, die außerhalb des menschlichen Körpers stattfinden, z.B. Wände, Maschinen, andere Personen. Der Pantomime muß in der Lage sein, sich selbst und auch anderes zugleich darzustellen. Um aber Gegenstände spielen zu können, bedarf es geradliniger, gleichmäßiger, außengeleiteter Bewegungen, die im Gegensatz zu den organischen, von innen kommenden, schwungvollen Bewegungen des Tanzes stehen. In diesem Spannungsfeld von geraden und schwungvollen Bewegungen, von Bewegung und Ruhe etabliert ANKE GERBER den ihr eigenen Bewegungskanon.
Anke Gerber, Jörg Friesnegg, Sonny Thed, Peter Gröning