Gesänge über Liebe und Krieg, nennen
Kattrin Deufert und Thomas Plischke ihr
Stück. Wie schon „Directory 1" und eigentlich all ihre Arbeiten der jüngsten Zeit ist es ein weiterer Ausschnitt aus ihrem Leben, das sie in regelmäßigen Abschnitten zu Stücken verdichten, um sich damit der Öffentlichkeit zuzuwenden. Plischkes und
Deuferts Projekt basiert auf einer gemeinsamen Lebens- und Kunstpraxis, die das Leben zur Kunst stilisiert und die Kunst ganz entschieden wie einst die Avantgarden als Lebenszusammenhang begreift. Frei nach Rosemarie Trockel, die das Stricken als Metapher für die unendliche Bewegung des Lebens versteht, stricken sich die beiden mit jeder ihrer Performan ces einen zweiten utopischen Kunstkörper, der von der Hoffnung getragen wird, alle Unterschiede zwischen den Geschlechtern und den Biographien mögen darin aufgehen und verschmelzen. In ihrem hochverdichteten Text werden Spuren
gelegt und gleichzeitig wieder verwischt. Denn wem das jeweilige biographische Detail zuzuordnen ist, läßt sich für den uneingeweihten Zuhörer nicht ausmachen. Sie sprechen in der Tat mit einer Stimme, die hier Gillian Carson gehört, die den wunderschön abstrahierten und poetischen
Text mit starkem schottischen Zungenschlag spricht, was ihm eine bizarre Rauheit und Bodenständigkeit verleiht. Aus zwei Leben nahtlos eines zu machen: Natürlich geht das nicht. Wie bei den Zwillingen auf dem Foto von Diane Arbus, das - auf dem Armaturenbrett eines fahrenden Autos liegend - dem Betrachter ins Auge springt, macht sich in der vermeintlichen Gleichheit die Differenz um so stärker bemerkbar. Schließlich
trägt, wie es einmal im Text heißt, jeder Körper seine eigenen Geschichten, weshalb sich auch jeder Körper anders bewegt. Hier berühren Plischkes und Deuferts Überlegungen den Tanz und dessen Voraussetzungen. Ein Skelett aus einer anatomischen Sammlung erscheint im
Bild. Jeder Knochen ist zwar korrekt beschriftet, doch die Bewegung der Knochen geht niemals in der sprachlichen Benennung auf. So schieben sich die beiden zwischen den Stuhlreihen der Zuschauer hindurch, stehen kopf oder zwängen sich in eine Ecke des Raums, um zu verschwinden. Ganz in sich gekehrt, führen sie simultan kleinste Bewegungen aus, die eben nicht von der Gleichheit, sondern von der Differenz und damit von der Offenheit getragen werden. GERALD SIEGMUND (Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. Juni 2005)
Kattrin Deufert, Thomas Plischke