„Perfekte Körperbilder – Susanne Kirchner scheint die Gesetze der Anatomie außer Kraft zu setzen. Ihre Tanzskulpturen beschwören das Ebenmaß antiker Plastiken. Der menschliche Leib in Stein gebannt, die schöne Gestalt als unbelebte Skulptur. In diesem ästhetischen Spannungsfeld bewegt sich der menschliche Körper seit der Antike. Schon Pygmalion verliebte sich in die von ihm geschaffene Statue einer vollkommen schönen Frau und erreichte bei der Liebesgöttin Venus, dass sie dem Stein Leben einhauchte, auf dass er seine steinernde Holde heiraten könne. Weil göttliches Einwirken aber nicht immer hilft, hat man später den umgekehrten Weg gewählt: den lebendigen Körper dergestalt zu trainieren, dass er das Ebenmaß der Statue einnehme. An dieser Stelle begegnen sich Tanz und Bildhauerei, jedenfalls in ihrem klassischen Verständnis – den idealen Körper zu schaffen. Deswegen müssen sich Ballettänzer jahrelang schinden. Es geht um die kleine Metamorphose, um den göttlichen Körper im irdischen Leib. Doch die Geschichte hat gezeigt, dass die Verbindung aus erhabener Form und lebendigem Organismus letztlich nicht zu haben ist. Die Trennung zwischern starrer, klater Schönheit hier und bewegtem, vergänglichen Körper dort blieb unüberwindbar. Bis Susanne Kirchner kam. Die Berliner Künstlerin, 1964 geboren, studierte zunächst klassischen Gesang. Seit 1990 hat sie an der Entwicklung einer ganz eigenen Bewegungslehre gearbeitet, der Tanzskulptur, mit der sie sich mittlerweile überregional einen Namen gemacht hat. Kein Wunder, denn was sie zeigt ist wahrhaft ungesehen. In Anlehnung an Yoga- und Sensibilisierungstechniken hat sie für ihren Körper eine Beweglichkeit gefunden, die an die Grenzen des Nachvollziehbaren und auch des Sichtbaren geht. Kirchner arbeitet mit der Verblüffung, ja dem Erschrecken. Wenn ihr Körper seine Kontur verliert durch alle Arten von Torsionen, Streckungen, Spagat, Verdrehung und Verbiegung, dann ist man fasziniert, ungläubig und auch fassungslos, wie weit die Anatomie ausgesetzt werden kann. In dramatisch zeitlupenhafter Dynamik verwandelt sie sich, durchläuft Gestalt-Metamorphosen wie eine Statue, die in den Jahrhunderten der Verwitterung allmählich zerfällt und sich neu konfiguriert. Kirchners Körperbilder haben nichts Zirkushaftes, sie ist kein effektverliebter Schlangenmensch, sondern eine am antiken Gestaltideal orientierte, meditative Künstlerin. In einem Interview erläutert sie, ihr Interesse gelte vor allem dem, was man ohne Zufügungen darstellerisch leisten kann. Wenn man ohne Text, Libretto, Klang, Bühne und Requisiten auskommen will, womit kann man sich dann ausdrücken? Es bleiben, so Kirchner, Stimme (Gesang) oder Leib (Bewegung). Wer aber allein und ausschließlich mit der Gestalt aus Fleisch und Blut arbeiten will, hat eben das gesamte Repertoire an Körperbildern zur Inspiration. Daher bevorzugt Kirchner Auftritte in Museen. Und Glyptotheken. Aber auch die moderne und zeitgenössische Skulptur hält einiges parat: Abstraktion, reine Form, Austarierung von Kraft und Gegenkraft, immer an der Grenze zwischen Reglosigkeit und Belebung.“ Und sie bewegt sich doch: Die Entdeckung der unendlichen Langsamkeit "Eigentlich ist es paradox – Susanne Kirchner vereint mit ihren „Tanzskulpturen“ im Saarlandmuseum Bildende Kunst und Bewegungstheater. „Mein Gott, das atmet ja!“, durchzuckt es die Nachbarin.Vollkommen reglos, als wäre es eine Skulptur, scheint da ein menschlicher Körper vor uns zu liegen. Die Glieder, der Torso in einer Weise gegeneinander verwrungen, dass es über das Menschenmögliche hinausgeht – gehen müsste. Und sie bewegt sich doch. Mehr noch: Sie – es ist eine Frau – bewegt sich ständig. Nur unendlich langsam. Millimeter für Millimeter verändert sie ihre Position, sie dreht ein Gelenk, schiebt eine Hand oder einen Fuß oder beides vor. Unmerklich, wenn der Betrachter den Körper in seiner Gesamtheit wahrnehmen will. Zu träge ist unser Auge. Als „Tanzskulpturen“ bezeichnet Susanne Kirchner das, was sie in ihren Performances macht. Ein Paradox dieser Begriff, eigentlich. Ist die Skulptur nicht etwas Statisches, der Tanz hingegen Bewegung in Zeit und Raum? Die Berliner Künstlerin, die am Mittwoch in der Modernen Galerie des Saarlandmuseums auftrat, wirft unsere bisherigen Vostellungen über den Haufen. Vier „Tanzskulpturen“ führte Kirchner, die für ihre einzigartige Kunstform auch einen Lehrauftrag an der Berliner Hochschule der Künste hat und im letzten Jahr als Gastdozentin an der HBK Saar lehrte, im leergeräumten Vortragssaal des Museums vor. Ungewöhnlich zahlreich und gemischt für eine Museumsveranstaltung das Publikum, das der Künstlerin dabei von einer Station zur anderen folgt. Dazwischen immer wieder der dunkle Raum, in dem Kirchner, gekleidet in einem neutralen weißen Trikot, schon jeweils neu Stellung bezogen hat, wenn der Spot auf sie fällt. Trotz der unendlichen Langsamkeit gelingt es einem nicht, , die Bewegung anschließend vor dem inneneren Auge zu rekapitulieren. So irritierend fremd sind ihre Haltungen. Atemberaubend artistisch die Verbiegungen, doch das ist keine gequälte Kreatur. Immer, wenn man denkt, mehr ist nicht möglich, geht Kirchner noch etwas weiter, eröffnet dem Körper neue Freiheiten und Räume.Und sie ermöglicht die Wahrnehmung von Körperformen, die abstrakt wirken, und doch wirklich berühren. Ursprünglich habe sie klassischen Gesang studiert, erzählt Susanne Kirchner im anschließenden Gespräch, aber die Berufsperspektive habe sie nicht befriedigt. „Ich wollte etwas machen, was den Zuschauer ganz direkt berührt, sein Erleben einbezieht und ihn auf sich selbst zurückwirft.“ Anfangs hat Kirchner Gesang aus dem klassischen Repertoire mit Tanz verbunden. Doch wonach sie suchte, war „etwas, das die Wahrnehmung wirklich verändert, da bin ich immer langsamer geworden“. Und auch extremer. 25 Grundstrukturen hat sie und baut darum immer neue Strukturen auf. Auf gut 200 verschiedene Skulpturen schätzt sie ihr derzeitiges Repertoire. Nicht immer agiert sie in neutralen Räumen. In Berlin zeigte sie ihre Performances etwa auch auf den Stufen des Pergamonaltars. Manchmal nimmt sie in den Museen auch Bezug auf andere Exponate, Fotografien oder antike Skulpturen. Nicht nachbilden, sondern Stellung beziehen, auch Widerstand zeigen, den Mythos der Bilder anders erzählen, darum geht es Kirchner. Dabei hat auch die Stimmung der Zuschauer einen großen Einfluß auf die Künstlerin. Je klarer und bertrauter die Atmosphäre, desto mehr kann sie improvisieren, die Konzentration des Umfeldes „in sich hineinziehen, dass es wie eine Trance wird, dass alles schwebt“." Franz Anton Cramer (Quelle: Website Steven Garling)