INTERNATIONALES THEATERINSTITUT / MIME CENTRUM BERLIN

MEDIATHEK

FÜR TANZ

UND THEATER

MCB-DV-8999

Im Dutzend billiger. Ein Solo-Duo Programm

Beschreibung

Im Dutzend Billiger. Ein Solo-Duo Programm

I. Im Dutzend Billiger ist eine Gemeinschaftsproduktion verschiedener Tänzer*innen und Choreograph*innen der Tanzfabrik Berlin. Mit gemischten Programm-Abenden wie diesem sollte ein Querschnitt der sehr unterschiedlichen Arbeit und künstlerischen Auseinandersetzung präsentiert werden.

Im Rahmen des Festivals BesTANZaufnahme 2 präsentierte die Tanzfabrik im Frankfurter Theater am Turm (TAT) im April 1983 einige kürzere Stücke verschiedener Choreograph*innen. Das TAT war insbesondere in den Jahren 1980 bis 1986, als es ohne eigenes Ensemble funktionierte, eine Spielstätte für freie und experimentelle Gruppen und internationale Künstler. Mit dem Festival wurde erstmalig in Deutschland eine Plattform für den Freien Tanz geschaffen.1

Im Dutzend Billiger ist eine Zusammenstellung von Soli und Duetten, die am TAT Premiere hatten oder aus dem Programm der vorangegangenen zwei Jahre der Tanzfabrik stammten. Die Berliner Erstaufführung fand im Juli 1983 im Studio 1 der Tanzfabrik statt. Der Abend gliedert sich in 10 kurze Stücke, an denen insgesamt acht Tänzer*innen beteiligt sind.

Es ist die erste eigene Produktion nach den durch das Land Berlin geförderten Renovierungs-arbeiten der Tanzfabrik.

Das vorliegende Band zeigt die Berliner Aufführung.


II. 

Stück 1

Ködern

(Choreographie: Jacalyn Carley; Tanz: Antja Kennedy; Musik: Oregon, „Sierra Leone“; Dauer: 8’40 min.)

Das von Jacalyn Carley choreographierte und von Antja Kennedy getanzte Solo-Stück Ködern gliedert sich in einen ersten Teil ohne und einen zweiten Teil mit Musik. Kennedy tanzt in Trainingskleidung im leeren Studio 1. Die Fenster im Hintergrund geben den Blick auf den Hinterhof frei. Der Beginn des Stückes ist von raschen Läufen im Kreis gekennzeichnet. Kennedy scheint etwas zu umrunden und mit dem Blick festzuhalten. Ihre Bewegungen verändern sich schnell, kehren sich in die Gegenrichtung. Nach eigenen Aussagen von Carley sind einige ihrer Stücke von der Tierwelt inspiriert (wie etwa Ch-Ch-Ch-Changes (1979) oder ihre RUT-Stücke (1988)). Kennedy ahmt jedoch zu keiner Zeit dezidiert tierische Bewegungen nach. Ihre unprätentiösen präzisen Bewegungen sind zugleich geprägt von Geschmeidigkeit und Fluss sowie von Momenten, in denen der Gleichgewichtssinn der Tänzerin herausgefordert scheint.

NB: Korrespondenz mit Jacalyn Carley vom 18.09.2017

Stück 2

Mama Coosa (Premiere)

(Choreographie/Tanz: Riki von Falken; Musik: Michael Jackson, „Wanna be startin’ somethin’“; Dauer: 6’30 min.)

Riki von Falken tanzt in ihrem kurzen Solo Mama Coosa zu einem dynamischen Musikstück von Michael Jackson. In lässiger Trainingskleidung durchquert sie in schnellen Bewegungsfolgen lebendig und äußerst kraftvoll den Raum. Dabei spielt sie mit Gesten und Posen aus dem Repertoire des Popstars, die sie choreographisch in rascher Wiederholung aneinanderreiht. Das Stück bewegt sich zwischen Inspiration und Ironie.

Stück 3

Last Waltz (Premiere)

(Choeographie/Tanz: Jacalyn Carley; Musik: Elvis Presley „Are you lonesome“; Dauer: 4 min.)

Die Tänzerin und Choreographin Jacalyn Carley tanzt in ihrem kurzen Solo Last Waltz zu Elvis Presleys Are you lonesome tonight? In einem knielangen geblümten dunklen Kleid bewegt sie sich anfänglich mit sehnsuchtsvoller Getragenheit, welche sie zunehmend durch eigentümliche Gesten verfremdet und unterwandert. Sowohl die Musik als auch in abgewandelter Form die Choreographie werden 1985 in ihrem abendfüllenden Stück Anna Blume ist Rot wieder aufgenommen.

Stück 4

Rosen

(Choreographie: Sygun Schenck; Tanz: Sygun Schenck, Frank Deutschmann; Musik: Freddy Breck; „Rote Rosen“, Dauer: 6’30 min.)

In diesem Duett von Sygun Schenck und Frank Deutschmann setzen die beiden Tänzer*innen mit den Mitteln des Tanztheaters ein Beziehungsdrama in Szene. Ein elastisches Seil, das diagonal durch den Raum aufs äußerste gedehnt ist, verdeutlicht die Spannung zwischen dem Paar. Die Frau steht im hinteren Teil des Raums weit in das Seil gelehnt in Schräglage. Er sitzt, ihr den Rücken zugekehrt, nah bei den Zuschauern, auf einem Stuhl, an dem das andere Ende des Seils befestigt ist. Auf seinem Schoß hat er ausgepackte rote und weiße Rosen. Aus dem Off erklingt die Schlagermusik „Rote Rosen“. Sie lässt unter ihrem Kleid Rosen und Rosenblätter herausfallen, sie dreht und wendet sich in der Spannung, sie schlägt das Seil rotierend so schnell durch die Luft bis es dröhnt, sie verringert den Abstand bis es durchhängt, nur um sogleich wieder eine neue Spannung aufzubauen. Während sie sich, unbemerkt von ihm, abmüht, bindet er in aller Ruhe seinen Strauß. Als sich Deutschmann schließlich mit fertigen Strauß erhebt, um sich zu Schenck zu drehen, die unter Spannung im Seil hängt, fliegt ihr dasselbe samt Stuhl um die Ohren.

Stück 5

Der Hirnficker – Stück über Realitäten (Stand Juli 1983)

(Konzept/Tanz: Dieter Heitkamp, Dauer: 10’30 min.)

Der Hirnficker – Stück über Realitäten ist ein Solo-Tanzstück von Dieter Heitkamp. Es existiert in zwei Fassungen mit und ohne Musik. Die im Rahmen von Im Dutzend billiger präsentierte Version ist ohne Musik. Der Hirnficker ist ebenfalls ein Teil des Abendprogramms Buddy Boddies von 1984. Auch in dieser Fassung wird es ohne musikalische Begleitung präsentiert. Heitkamp setzt sich in diesem Stück mit seinen ersten Erfahrungen der Wahrnehmungserweiterung und -verschiebung durch halluzinogene Drogen, wie LSD, auseinander.

Auf der ansonsten leeren Bühne des Studio 1 schwingt im Hintergrund vor den Fenstern ein Pendel, während Heitkamp im Schulterstand mit dem Kopf auf der Sitzfläche in einem Bauhaussessel aus Metall und schwarzem Leder lehnt. Aus der umgekehrten Haltung gleitet er in einer Rollbewegung, bei der er sich auf dem Boden abstützt, in eine sitzende Position auf dem Stuhl. Von dort aus blickt er ins Publikum, scheinbar durch die Zuschauer hindurch. Kleine entkoppelte Bewegungen seines Kopfes, Nackens und seiner Finger werden unterbrochen von plötzlichen schreckhaften Wendungen, die auf etwas verweisen, was nur Heitkamp wahrzunehmen scheint. Seine gleitenden Bewegungen eröffnen den Zuschauer*innen ein Feld der entrückten und befremdlichen Selbst- und Raumwahrnehmung. Traumtanzend dreht er Pirouetten und schwingt sein Bein dabei über den Stuhl, der den Ausgangspunkt aller Bewegungen bildet. Die fließende Qualität wird jäh unterbrochen von zwanghaften Ticks, die sich verselbstständigen, und dabei die Frage aufwerfen, ob Heitkamp selbst sich bewegt oder ob etwas ihn bewegt und durch den Raum treibt.

NB: Teile der Hintergrundinformationen stammen aus einer E-Mail-Korrespondenz mit Dieter Heitkamp vom am 09.09.2017.

Stück 6

Anna (In Memoriam)

(Choreographie: Jacalyn Carley; Tanz: Jacalyn Carley, Frank Deutschmann; Musik: Clark Terry & Le Grand Bidule: „Lament“; Dauer: 5’15 min.)

Jacalyn Carley und Frank Deutschmann tanzen in diesem kurzen Duett zu einer Jazzmusik in dem ansonsten leeren Raum des Studio 1. Das Stück wirkt wie eine Fortführung des zuvor von Carley gezeigten Solos Last Waltz. Das sehnsuchtsvolle bis eigenwillige Verhalten der Frau trifft hier auf einen männlichen Part, der sich ihr nähert, sie aber auch immer wieder zurückweist. Synchrone Tanzmomente der beiden wechseln sich mit gemeinsamen Hebe- und Drehfiguren ab, bis auch sie ihn zu Boden fallen lässt und die Gelegenheit für eine kleine übermütige Soloeinlage nutzt, bevor sie sich erneut annähern.

Sowohl die Musik als auch choreographische Anteile aus diesem Duett nimmt Jacalyn Carley später in dem abendfüllenden Stück Anna Blume ist rot von 1985 mit Martin Schurr wieder auf.

NB: Teile der Hintergrundinformationen stammen aus einer E-Mail-Korrespondenz mit Jacalyn Carley vom am 18.09.2017.

Stück 7

Tanzzeit

(Choreographie/Tanz: Jacalyn Carley; Dauer: 5’30)

Jacalyn Carley tanzt in diesem kurzen Solo ohne Musik vor schwarzem Hintergrund. Gekleidet in einen Aerobic-Anzug begleitet sie ihre Bewegungen durch Geräusche wie Schnippen, Tippen, Klatschen und Schlagen, die sie mit ihrem eigenen Körper erzeugt. Tanzzeit ist laut Carley aus Improvisationen mit verschiedenen Teilnehmer*innen hervorgegangen, die sie später zu einem Stück zusammenfügte. Entstanden ist eine Mischung von Elementen unterschiedlichster Tanzrichtungen und -stile, die sich unvermittelt abwechseln mit Motiven aus Trainingsübungen und kleinen Alltagsgesten. Die spielerische und forschende Herangehensweise sprengt formale Vorgaben und öffnet den Tanz für die Auseinandersetzung mit der Bewegung an sich sowie mit dem Selbstbild der Tanzenden.

Tanzzeit wurde in verschiedenen Berliner Grundschulen mit nachfolgender Diskussionsrunde aufgeführt.

NB: Teile der Hintergrundinformationen stammen aus einer E-Mail-Korrespondenz mit Jacalyn Carley vom am 18.09.2017.

Stück 8

Schwangerstock

(Choreographie/Tanz: Sygun Schenck; Objekt/Idee: Cheryl Joscher; Musik: Kluba Cubol; Dauer: 11 min.)

Sygun Schenck tanzt in ihrem Solo mit einem schotenförmigen Objekt zu einer zunächst psychedelischen, dann stetig lauter werdenden rhythmischen Percussionmusik. Nachdem der Klang eine Weile das Dunkel der Bühne erfüllt nähert sich Schenck dem Publikum in kurzer schwarzer Bekleidung. Zwischen den Beinen zieht sie das archaisch anmutende Objekt, das eine Art Frucht im Inneren zu tragen scheint, hinter sich her und legt es im vorderen Bühnenbereich zu Boden.

In ihrem ritualhaft anmutenden Tanz bewegt sie sich in starkem Bezug zu dem Objekt. Sie schlägt sich auf die Schenkel, schwingt ihre Hüfte, springt und dreht sich, um sich dann neben der bauchigen Form auf den Boden zu legen. Anschließend stellt sie sich auf und lässt das Objekt wie ein Pendel vor sich schwingen. Danach führt sie es um ihren Körper herum und verweilt immer wieder an bestimmten Stellen. Bevor die Bühne plötzlich dunkel wird, schiebt sie es in einer schwungvollen Geste über den Boden und nimmt eine hockende Position ein.

Stück 9

Zwei Zusammen

(Choreographie/Tanz: Jacalyn Carley, Heidrun Vielhauer; Musik: Rüdiger Hürter; Dauer: 9 min.)

Das Duett von Jacalyn Carley und Heidrun Vielhauer findet auf einer Bühne statt, die ausschließlich von zwei mittig platzierten, dem Publikum zugewandten Stühlen bestimmt ist. Vielhauer sitzt frontal zum Publikum, Carley ist ihm seitlich zugewandt. Zwei Zusammen thematisiert das Rivalitätsverhalten zweier Frauen. „Aus dem Wettstreit der zwei Tänzerinnen um die Gunst des Publikums entwickelt sich ein dramatisches Spiel um das konkurrierende Verhalten unter Frauen.“2

Die Tänzerinnen bewegen sich unabhängig voneinander, in langsamen Bewegungen, die das Spiel mit der Kleidung mit einbeziehen, gefolgt von schnellen Armschwüngen, Drehungen (Vielhauer) und grotesken Zuckungen (Carley). Zeitweise setzt der Gesang Hürters ein, der wiederum von den Tänzerinnen durch Bewegungen des sich Zusammenkauerns, durch Stills und geklatschte Rhythmen begleitet wird. „Der Kampf der Frauen, der sowohl verhaltene subtile Bewegungsabläufe wie eine ungeheure dramatisch getanzte Aggressivität enthielt, spiegelte vielfach reale Verhaltensweisen wider.“3

Zwei Zusammen wurde bereits 1982 im Rahmen des gemischten Abends Begegnungen 2 in der gleichen Besetzung aufgeführt, wobei Hürter live sang, was für diese Wiederaufnahme nicht belegt werden kann.

NB: Teile der Hintergrundinformationen stammen aus einem Gespräch mit Sygun Schenck, geführt am 31.07.2017, sowie mit Heidrun Vielhauer, geführt am 16.08.2017 und einer Korrespondenz am 30.08.2017.

Stück 10

2 Herren und ein Saxophon

(Choreographie/Tanz: Dieter Heitkamp, Helge Musial; Musik: Helge Musial; Dauer: 8’30 min.)

In dem Duett 2 Herren und ein Saxophon tanzt Dieter Heitkamp mit dem Saxophon spielenden Helge Musial. Das komplett durchchoreographierte Stück ist geprägt von Elementen der Akrobatik und der Contact Improvisation. Während die Bühne noch dunkel ist sind bereits Klänge des Saxophons zu hören. Als das Licht angeht rollt sich Heitkamp über den Boden der ansonsten leeren Bühne hinter den im sitzen Saxophon spielenden Musial und bindet diesen in die Bewegung ein. Später versucht Heitkamp mehrfach auf den in die Luft gestreckten Füßen Musials Platz zu nehmen, der ihn jedoch wegstößt bis Heitkamp in Flic-flacs und weiten Sprüngen durch den Raum wirbelt. Das Saxophon gibt dabei einen Rhythmus an, betont sanfte Berührungsmomente zwischen den beiden Tänzern oder gebietet gleich einer erhobenen Stimme Abstand. Humorvoll begegnet Heitkamp dem, indem er unter anderem mit seinem Kopf die Öffnung des Instruments verschließt.

2 Herren und ein Saxophon ist 1984 ebenfalls Teil des Abends Buddy Buddies.

NB: Teile der Hintergrundinformationen stammen aus einer E-Mail-Korrespondenz mit Dieter Heitkamp vom am 09.09.2017.

Archivsignatur der Akademie der Künste:  AVM-33 10006/3 (https://archiv.adk.de/objekt/2926489)


1 Heitkamp, Dieter: „Tanzstadt Frankfurt“ in:50 Jahre Tanzausbildung. Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main, S. 104, https://goo.gl/EXQbUa (letzter Zugriff: 20.09.2017)

2 Lerch, Gisela: „'Begegnungen 2' - eine Gemeinschaftsproduktion von Musikern und Tänzern der Tanzfabrik“, in: Journal in III, 26.07.1982, Ort o. A., S. o. A..

3 Massoth, Margarethe: „Mit vielen Anregungen zum Mit- und Weiterdenken Vorwärtsweisende Symbiose von Tanz und Musik durch Improvisation“, in: Die Wahrheit, 28.07.1982, Berlin, S. o. A..

Gruppe / Compagnie / Ensemble
Choreographie
Darsteller
Bühnenbild
Musik
Standorte
MCB
Reihe
Sprache
de
Aufnahmedatum
Donnerstag, 07. Juli 1983
Orte
Stadt
Berlin
Länge
144 min
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