INTERNATIONALES THEATERINSTITUT / MIME CENTRUM BERLIN

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FÜR TANZ

UND THEATER

Kantor, Tadeusz

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Tadeusz Kantor (* 6. April 1915 in Wielopole Skrzyńskie; † 8. Dezember 1990 in Krakau) war ein polnischer Theaterregisseur, Maler, Bühnenbildner und Kunsttheoretiker. Er gilt als einer der wichtigsten Vertreter des Absurden Theaters obschon seine Kunst- und Theatertheoretische Auseinandersetzung keiner Beschränkung auf Genres unterlag. Stilistische Anleihen an H. Bosch bis A. Giacometti führten ihn in eine eigene Bildsprache, eine Theaterwelt die sich in kraftvollen Traumbildern eruptiv fortentwickelte, aufgrund Kantors eigener physischer Präsenz innerhalb der Inszenierungen aber so stark an seine Person gebunden blieb dass diese Form mit ihrem Regisseur starb und seither als nicht mehr realisierbar gilt. Dennoch bleibt der Stellenwert der Stücke in der Theatergeschichte weiter unstrittig. (dS) Tadeusz Kantor wurde in dem kleinen galizischen Städtchen Wielopole Skrzynskie geboren, als Sohn eines Juden und einer Katholikin. Dort entwickelte sich gerade die Persönlichkeit des Menschen, dessen Lebensgeschichte wie im Spiegel ihre Widerspiegelung in seiner Kunst fand. Nach einem Studium an der Krakauer Akademie der Schönen Künste war Kantor zunächst als Maler und Bühnenbildner tätig. Parallel zu der Malkunsttätigkeit wurde in Kantor allmählich die Vision eines eigenen Theaters, wenn nicht einer eigenen Welt, für die das Theater die Bühne und der Inhalt gleichzeitig war, reif. Sein Interesse für die Malerei hinterließ nachhaltige Spuren, nicht nur auf der Leinwand, sondern auch auf der Bühne, denn Kantor blieb auch im Theater ein in Bildern denkender Maler. Egal ob Schauspieler, Puppen oder Requisiten - Kantor hantierte mit ihnen, als seien sie Farbe, die er auf die Bühne spritzt. Kantors Kunst war auf eine ungewöhnlich suggestive sichtbare Übertragung gestützt. 1943 gründete er im besetzten Krakau ein Untergrundtheater, aus dem 1955 sein experimentelles Theater „Cricot 2“ hervorgehen sollte. So entstand ein einzigartiges Theater, in dem Töne, Gesten, Bilder und Symbole verbunden waren. Ein Theater, das sich mit seinem Schöpfer insoweit vereinigte, dass jegliche Versuche, Kantor von seinem Werk zu trennen, im Voraus scheitern mussten. Der Meister, der auf der Bühne auf seinem charakteristischen, hölzernen Klappstuhl saß und der sich in die Aktivitäten der Schauspieler nervös oder auch manchmal brutal einmischte, wurde zu einem untrennbaren Bestandteil jedes Stückes, seinem Subjekt und Bühnenbildelement sogar. Es ist auch im Grunde schwer zu sagen, ob die Schauspieler in seiner Vorführungen in ihrem Wesen wirklich Schauspieler und nicht nur Werkzeuge waren, die dem Genie bei der Verwirklichung seiner Visionen behilflich waren. Kantor glaubte an den Künstler in jedem Individuum. So hatten nur wenige seiner Schauspieler überhaupt eine schauspielerische Ausbildung. Seiner Meinung nach konnte jeder seine Aufgabe erfüllen: „Ich kenne keine Trennungen der Künste. Kunst ist universell und nicht begrenzt.“ Seine Forderung nach radikaler künstlerischer Erneuerung des Theaters findet sich auch in den theoretischen Schriften, Manifesten und Notizen. Kantors Theaterarbeiten, die ihn und seine diversen Ensembles weltberühmt machen sollten, machten sich auf faszinierende Art und Weise das Sujets des Todes und der Erinnerung zu eignen. Er erschuf in seinen Stücken suggestive Räume voller Lebender und Toter. Seine Stücke wie „Mtwa“ (Tintenfisch) aus dem Jahr 1955 oder „W maym Dworku“ (Im kleinen Landhaus) erregten großes Aufsehen. Doch Kantor gab sich mit den Erfolgen nicht zufrieden. Mehrmals wagte er einen Neustart, wie z. B. mit seinem Projekt „Theatre Informel“ von 1960 bis 1962 oder dem späteren „Zero Theatre“. Mitte der 70er Jahre schuf er das „Theater des Todes“, das mit dem Stück „Die tote Klasse“ Premiere feierte. Hier wie in späteren Stücken (u. a. „Wielopole, Wielopole“) befasste sich Kantor mit der Faszination des Sterbens. Es sind Stücke, die nicht „erklärt“ sein wollen und die nur über Assoziationen zu verstehen sind. Der Maler Kantor schuf Bilder, die gleichzeitig faszinierend, lähmend, komisch und grausam waren. Ironie oder Vorahnung - Kantors letztes Stück, das 1988 uraufgeführt wurde, trug den Titel „Ich kehre nicht mehr zurück“. Auf dem Friedhof Rakowice in Krakau sitzt in einer kleinen Schulbank ein Junge aus der toten Klasse. Ein Kreuz, an die Banklehne gestützt, auf dem Pult ein Schulheft. Das ist Tadeusz Kantor auf dem Wege ins Unbekannte, den er mit dem Scheinwerfer seiner Kunst zu beleuchten versuchte.

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